Als Anne-Marie und ich an der Turnhoutsebaan in Antwerpen standen, um unsere letzte Etappe auf unserem Roadtrip anzutreten, begannen wir, selbigen zu resümieren. Wir betrauerten die Tatsache, dass wir weder bei einem Truckie noch bei einer Frau mitgefahren waren (Eyla aus Leer zählt nicht, die entsprach nicht dem Typ Frau, den man davon hätte überzeugen müssen, Tramper mitzunehmen). Die letzten Tage in Antwerpen entpuppten sich als krönender Abschluss einer sowieso unbeschreiblichen Reise und wir waren uns sicher, dass wir in diesem Sommer 2010 unseren Vorrat an Anekdoten mindestens verdoppelt hatten. Nachdem wir an der Autobahnauffahrt Richtung Lüttich jedoch auch bereits eine Stunde warteten, kamen uns Zweifel, ob wir wirklich Lust auf diese letzte Anekdote hatten. Als die Stimmung gerade an einem Tiefpunkt angekommen war, hielt plötzlich ein Red-Bull-Promo-Auto, am Steuer saß eine junge Frau, die gesamte Rückbank war voll mit Red-Bull-Dosen. „Um euch ein bisschen zu unterstützen!", sagte sie - und drückte uns jedem eine Dose chemische Energie in die Hand. Passend zu dem Getränk hielt 5 Minuten später ein tiefergelegter Kleinwagen, aus dem lauter Techno dröhnte. Drinnen saß Wim, der seinen Wagen zu einer fahrenden Musikanlage umgebaut hatte. Er fuhr uns in Höchstgeschwindigkeit zur nächsten Raststätte nach Ranst, Anne-Marie verschüttete ihr Red Bull auf seiner Rückbank und hoffte, es würde trocknen, bevor er es bemerkt.
An der Raststätte mussten wir nicht lange warten, bevor der erste Wagen hielt. Das Blöde war, wir bemerkten es nicht, weil Anne-Marie mich gerade auf irgenetwas „total Gruseliges" im Gebüsch aufmerksam machen wollte. Also standen wir beide da, das Schild, Aufschrift "Lüttich/Köln", in der Hand, die Blicke Richtung Dunkelheit und ließen den Kleinwagen ungesehen ziehen, der – so redeten wir uns ein – garantiert eh nicht in unsere Richtung gefahren wäre. Fünf Minuten später, es war inzwischen bereits dunkel, hielt ein Truck mit rumänischem Kennzeichen. Wir stiegen ein und probierten, uns mit dem Fahrer zu verständigen. Er sprach nur Rumänisch und vielleicht Italienisch, wir konnten das nicht so genau entziffern. Ich antwortete mit irgendeinem Spanisch-Portugiesisch-Mix und es muss ein göttliches Bild abgegeben haben, wie wir verzweifelt probierten, miteinander zu reden und doch nichts verstanden. Seine Name war Gheorghe oder irgendwas, was so ähnlich klingt. Gheorghe fuhr nach Öesterreich und es sollte unsere nächste Aufgabe werden, mithilfe von Landkarten herauszufinden, wo sich unsere Wege trennten. Wir entschieden uns für Aachen und ließen uns dort an einer Raststätte absetzen. Immerhin waren wir schonmal wieder in Deutschland. Wir konnten uns kaum über unseren ersten Truckie freuen, da hielt auch schon der Nächste. Rolli, 43 Jahre alt aus Dessau. Anfänglich wollten wir bloß nach Köln fahren, um dort bei einer Freundin zu übernachten. Als Rolli jedoch von Bitterfeld in Sachsen-Anhalt erzählte, witterten wir bereits Hauptstadtluft. Wir entschieden uns also dazu, mit Rolli bei 80km/h durch Deutschland zu rollen und nicht mehr in Köln Halt zu machen. Rolli war ein freundlicher Typ. Sofort bot er Anne-Marie, die bereits müde wurde, sein Bett an. Eine halbe Stunde später hatte diese es sich in Rollis Bettwäsche bequem gemacht und schlief seelenruhig auf Deutschlands Autobahnen, während ich mich stundenlang mit Rolli unterhielt. Rolli erzählte von LKWs und dass er seinen Job liebte. Immer wieder präsentierte er mir Informationen „von denen mir die Ohren schlackern würden" - das war sein Lieblingsspruch – oder zeigte mir andere LKWs, die „mit allen Dood un Deibel" ausgestattet waren – Nummer 2 in seiner Redewendungen-Hitparade. An mir war er gar nicht interessiert, immer wieder fiel er mir ins Wort, wenn ich probierte, ihm von unserem Urlaub zu erzählen. Wenn er doch mal zuhörte, nutzte er jede Geschichte, um wieder zu sich selbst überzuleiten. Rolli redete gern. Oder vielleicht wollte er manche Dinge einfach mal los werden. Seine größte Sorge wurde es, Anne-Marie den Aufenthalt in seinem Truck so angenehm wie möglich zu gestalten: er achtete penibel darauf, dass nicht zwei Fenster auf einmal geöffnet waren, Anne-Marie wäre es sonst zu kalt geworden. Er umfuhr ganze Landstraßen, weil diese seiner Meinung nach zu holprig waren und Anne-Marie aufwachen könnte. Wenn ein Lied im Radio lief, bei dem Anne-Marie vorher mitgesungen hatte, drehte er es langsam ein bisschen lauter und warf einen Blick nach hinten – vielleicht freute sie sich im Schlaf darüber. Anne-Marie wurde während dieser siebenstündigen Fahrt nach Bitterfeld also umsorgt wie eine Prinzessin, während ich Mühe hatte, mich wach zu halten. Wir waren inzwischen bei LKW-Gewerkschaften und Gefahrengutladungen angekommen, da legte Rolli bei einem Autohof irgendwo im Nichts eine Pause ein. „Gesetzlich vorgeschrieben.", sagte er und tickte auf die digitale Uhr über ihm. Anne-Marie schlief hinten weiter, während Rolli und ich je eine Bockwurst und einen Kaffee zu uns nahmen. Ich wollte noch eben zur Toilette gehen und bat deshalb die Frau hinter der Kasse, mir meinen Zehn-Euro-Schein zu wechseln. „Du bist mit Rolli hier, oder?", fragte sie mich vertraulich. Ich nickte. „Ach, dann brauchst du nichts zu bezahlen." Meine prominente Begleitung hatte mir gerade eine Ersparnis von fünfzig Cent eingebracht. Ich war ein bisschen stolz auf Rolli. In der Truckieszene schien er eine große Nummer zu sein. Als wir weiter fuhren, inzwischen war es etwa 5 Uhr morgens, wurde auch Anne-Marie langsam wieder wach. Rolli erkundigte sich nach ihrem Wohlbefinden. „Gut, gut", sagte sie, während sie sich die Augen rieb und Rolli lächelte zufrieden. Ein paar Stunden später hatten wir dann unsere Bestimmung erreicht: Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, ein trostloses Fleckchen Deutschland irgendwo an der A9, eingehüllt in Morgennebel. Glücklicherweise mussten wir hier nicht länger warten, als ich „BE" auf unser Berlin-Schildchen schreiben konnte. Ohne es wirklich probiert zu haben, nahm uns Maria mit, eine Münchenerin, die auf dem Weg nach Rostock war. Sie arbeitete dort und nahm öfter Tramper mit, auf langen Strecken langweilte sie sich oft. Maria war sympathisch, ich war verdammt müde. Auf der Rückbank schlief ich beinahe ein, während Anne-Marie auf dem Beifahrersitz quickfidel war. In Werder an der Havel ließ Maria uns raus, mit unserem Semesterticket fuhren wir Richtung Berlin. Gegen elf Uhr mittags stiegen wir am Bahnhof Friedrichstraße aus, eine Frau rempelte mich an, noch bevor ich den Zug verlassen konnte. Berlin, wir sind zurück. Kosten/Strecke: 0€/917km Was wir gelernt haben: auch Truckies und Frauen haben ein Herz für Tramper Was wir hätten brauchen können: einen Pokal für den tollsten Truckie der Welt, um ihn Rolli zu überreichen
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Wieder in Antwerpen zu sein, ist einfach traumhaft. Ich war mir zwischendurch nicht sicher, ob ich hier wirklich die nächsten sieben Monate verbringen möchte, aber bereits nach einem Tag waren alle Zweifel beseitigt. Zuerst wollten Anne-Marie und ich einen Kaffee im Barnini trinken, das Café einer Freundin von mir. Weil wir dort aber leider vor verschlossenen Türen standen, gingen wir weiter ins Caffènation, einem hippen Café in Antwerpens Zentrum. Dort saßen wir inmitten gutaussehender Mittzwanziger und freuten uns, hier zu sein. Im Laufe des Tages kam ich dann endlich dazu, Vintage in Belgien einzukaufen: in der gesamten Stadt herrscht gerade Ausverkauf. Think Twice, ein charmanter Second-Hand-Laden, schmiss sämtliche Kleidungsstücke für je einen Euro raus. Ich erweiterte meine Garderobe um vier Stücke und wurde also nicht mal einen Schein los. Während wir so durch die Stadt flanierten, begegneten mir Charles und Marijana, zwei Bekannte, die ich bei früheren Besuchen in Antwerpen kennengelernt hatte. Ich freute mich wahnsinnig darüber, weil mir klar wurde, dass ich nicht für ein Auslandssemester in eine fremde Stadt gehen würde, ich bin schon längst ein bisschen auch Teil dieser Stadt. Abends traf ich mich mit Jeroen in einem Café in der unmittelbaren Nähe der Onze-Lieve-Vrouwen-Kathedrale und alles war, als sei ich nie weg gewesen. Antwerpen liebt mich und ich liebe Antwerpen. Zu späterer Stunde trafen wir Roel und Kim im Hessenhuis und trotz gähnender Leere hatten wir Spaß. Der Barmann spielte Lieder, die ich mir wünschte, mir wurden Getränke angereicht und den ganzen Abend wurde drinnen geraucht. Alles war so herzallerliebst, dass es mir unbegreiflich ist, wie ich tatsächlich an meinem geplanten Auslandssemester zweifeln konnte.
Kosten/Strecke: 0€/15km Was wir gelernt haben: Klamotten kauft man besser in Belgien Was wir hätten brauchen können: bequeme Schuhe für Anne-Marie Ich glaube an Karma. Man tut etwas Gutes und irgendwann kommt es zurück. Kürzlich saß ich mit einem Mann am Tisch, der mir erzählen wollte, dass die Migranten in Deutschland an allem Schuld seien. Migranten seien persé kriminell, schlecht gebildet und wollen sich alle nicht integrieren, das war sein Standpunkt. Kulturelle Bereicherung war meiner. Die Diskussion endete damit, dass ich vom Tisch aufstand mit dem Satz: „Ich freue mich, wenn dieses Gedankengut mit eurer Generation ausstirbt." Sicher, das war der hässliche Gipfel einer hässlichen Diskussion, aber ich war mir sicher, mein ergreifendes Plädoyer für die kulturelle Vielfalt in unserem Land würde mir auf meinem Karma-Konto gutgeschrieben werden.
Nach einem regnerischen Tag in Rotterdam, rafften Anne-Marie und ich uns auf, um weiter zu trampen Richtung Belgien. Ein Rotterdammer, den ich am vorigen Abend kennengelernt hatte, hatte mir einen guten Platz zum Trampen verraten - eine Tankstelle kurz vor der Autobahn. Mit unseren Reisetaschen trotteten wir also den Weg entlang, von dem wir nur vage vermuten konnten, wohin er führte - Beschilderungen waren nämlich Mangelware. Eine gute Dreiviertelstunde später, wir hatten inzwischen die Nieuwe Maas überquert und befanden uns nun auf der südlichen Flussseite, waren immernoch weder Autobahn noch Tankstelle in Sicht. Von der Nordsee her näherte sich eine bedrohlich dunkle Wolke. Bei meiner rollbaren Reisetasche waren inzwischen die Stange zum Ziehen und die Rollen zu Bruch gegangen, sodass ich sie auf dem Rücken tragen musste. Anne-Marie schien ebenfalls genervt von der Situation. Aus Mangel an anderen guten Ideen packten wir an Ort und Stelle unser Schildchen aus und hielten es den Autofahrern entgegen. Keine zwei Minuten später hielt ein roter Fiat an, drinnen saß ein Mann südländischer Abstammung, der weder gut Niederländisch noch Englisch verstand. Er half uns unsere Taschen in den Kofferraum zu packen und wir fuhren los. Durch einfache Fragen fand ich heraus, dass er nur des Kurdischen, Türkischen und Arabischen mächtig war. Wir versuchten ihm begreiflich zu machen, wo wir hinwollten, wiederholten 'Belgium. België. Belgique' in allen Sprachen, die uns einfielen und tatsächlich holte er sein Navigationssystem aus dem Handschuhfach und tippte Belgien ein. (Zumindest einen arabischen Schriftzug, neben dem die belgische Flagge abgebildet war) Er lächelte uns beiden zu, als ob er sagen wollte „Ich verstehe euch nicht, ihr mich nicht, aber egal. Das wird schon." Weil er selbst offensichtlich in Rotterdam wohnte und eigentlich gar nicht rausfahren wollte, erzählte ich ihm von der Tankstelle. Diese ließ er jedoch in seinem rechten Rückspiegel verschwinden und fuhr auf die Autobahn. „Diesel", sagte er bloß, wie um anzudeuten, dass längere Strecken ihn nicht finanziell ruinieren würden. Im Endeffekt fuhr er uns nach Breda, was etwa auf halber Strecke zwischen Rotterdam und Antwerpen liegt. Ich wiederholte immer wieder 'Schukran' – eine libanesische Freundin hatte mir mal beigebracht, dass das Danke heißt. Er ließ uns raus, nickte uns noch freundlich zu und machte sich wieder auf den Rückweg Richtung Rotterdam. Wir standen am Straßenrand, noch völlig verblüfft von so viel Freundlichkeit und redeten über Karma. Vielleicht wollte uns jemand für den regnerischen Tag entschädigen, für all die Strapazen, die wir in Rotterdam hatten oder uns einfach dafür belohnen, dass wir den Menschen ein gutes Wesen unterstellen. Der Mann, mit dem ich damals die Diskussion über Migranten hatte, liegt heute übrigens im Krankenhaus. Es hatte ein Herzanfall, während er gerade als Hausmakler auf Sylt unterwegs war. Es wäre fast zu spät gewesen, auf Sylt wollte offensichtlich keiner anhalten. Wir hatten unsere Freude kaum ordnen können, da hielt auch schon der nächste an. Rodrigo, ein in Antwerpen wohnhafter Dominikaner (Nicht der Orden, sondern die Republik). Er erzählte uns, er sei nach Breda gefahren, um dort einen Joint zu rauchen. Zehn Gramm Marihuana habe er auch mitgenommen, sagte er und öffnete wie zum Beweis das Handschuhfach. Ob denn an der Grenze nicht kontrolliert würde, erkundigte ich mich und sah mich schon unfreiwillig in einen Drogenskandal verwickelt. Rodrigo schüttelte den Kopf. Er sei da ganz zuversichtlich. Und wenn doch, dann ist es eben weg. Rodrigo trug eine schwarze Rahmenbrille und einen Vollbart. Er erzählte uns von seiner Frau und von dem Mädchen, wegen dem er vor zehn Jahren nach Belgien gezogen ist. Wir trauten uns nicht, zu fragen, ob es dieselbe ist. Rodrigo redete viel und es war angenehm, ihm zuzuhören. Gegen Abend ließ er uns in Antwerpen-Zurenborg raus, obwohl er selbst schon eine Abfahrt früher hätte nehmen können. Wir waren quasi vor der Haustür von Joke, einer Freundin von uns, bei der wir übernachteten. Kosten/Strecke: 0€/109km Was wir gelernt haben: dass am Ende doch alles wieder gut wird Was wir hätten brauchen können: Grundkenntisse in Arabisch Um anfängliche Fehler zu vermeiden, haben Anne-Marie und ich uns genau informiert, wo wir die besten Chancen hätten, um nach Rotterdam weiter zu trampen. Unsere Sachen waren gepackt, alle Spuren in Amsterdam beseitigt und wir machten uns auf den Weg zur Amstelstation, einer weiteren offiziellen Lifthalte. Unsere Lust, am Straßenrand zu stehen und uns von vorbeifahrenden Menschen begaffen zu lassen, war an diesem Tag nicht sehr groß und so waren wir umso glücklicher, als schon nach einigen Minuten jemand anhielt. Er hieß Niels und erzählte uns, dass er früher selbst viel getrampt sei. Wir waren noch müde und schwiegen. "Sogar in Süddeutschland!" Wir beide lächelten etwas gequält. Die meisten Fahrer wählen so eine Anekdote als netten Einstieg für ein Gespräch und immer wieder bringt Anne-Marie und mich das in die verzwickte Lage, unsere Tramping-Jungfräulichkeit zu vertuschen. Vor ein paar Wochen hatten wir den Horrorfilm 'The Hitcher' im Fernsehen gesehen und wussten also, was wir auf jeden Fall vermeiden mussten (psychische Störungen vortäuschen, Witze über Waffen machen, aussehen wie Rutger Hauer), großartige praktische Erfahrungen im Trampen hatten wir jedoch nicht.
Niels machte lange Pausen in seinen Sätzen, oft an Stellen, die für Pausen überhaupt nicht geeignet schienen. Er probierte uns, den Unterschied zwischen Amsterdam und Rotterdam zu erläutern, natürlich nicht ohne zu erwähnen, dass Rotterdam irgendwie besser ist. Rotterdam ist eine bodenständige Arbeiterstadt, während Amsterdam abgehoben und versnobt ist. Ich überlegte, ob es diesen Städte-Zwist nicht in fast allen Ländern gäbe. Wir hörten ihm zu, was er uns zu erzählen hatte und mussten in den nächsten Tagen noch mehrmals daran denken. Vor allem aber half uns sein Tipp, im Seemannshaus zu übernachten, da wir keinerlei Menschen kannten, bei denen wir sonst hätten schlafen können. Wir gaben also je 25 Euro für unser Zwei-Bett-Zimmer aus und sparten uns so das 10-Mann-Dormatorium im Hostel, vor dem es mir sowieso schon graute. Rotterdam war in der Tat völlig anders als Amsterdam: die Skyline erinnerte eher an Frankfurt am Main, als an Holland, die ganze Stadt ist völlig geprägt von ihrem maritimen Flair. Menschen verschiedenster Nationalitäten leben hier anscheinend ziemlich glücklich miteinander (mehr als 50% der Rotterdammer sind nicht niederländischer Abstammung) und auch wir wurden freundlich empfangen. Trotz der kühlen Block-Architektur hat Rotterdam schnell seinen Weg unter meine Lieblingsstädte gefunden. Der einzige Wehrmuthstropfen war, dass wir sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne planlos durch die Stadt liefen. So haben wir auch erst um 1 Uhr erfahren, dass um 1 Uhr Sperrstunde ist. Kosten/Strecke: 5,60€/90km + 25€ Logie Was wir gelernt haben: dass man Hamburg und (!) Berlin mögen kann Was wir hätten brauchen können: ein iPhone Wir genossen es ungefähr bis 11h, die Bankfiliale durch ein Bett eingetauscht zu haben, ließen uns von Fleur ein herrschaftliches Frühstück zubereiten und machten uns dann auf den Weg Richtung Innenstadt. Die Gaypride, die an diesem Samstag auf den Grachten Amsterdams stattfinden sollte, ließen wir zu Gunsten eines Cafébesuches ausfallen. Es regnete den ganzen Tag in Strömen und wir resümierten unser Dasein als Tramper. Wir hatten weder daran gedacht, einen Regenschirm mitzunehmen noch wasserfeste Kleidung. Auch unsere sauberen Söckchen und Unterhöschen gingen langsam zur Neige. Außerdem drohte meine Reisetasche sich in ihre Einzelteile aufzulösen. Dass wir offensichtlich schlechte Tramper waren, hinderte uns jedoch nicht daran, unsere Ankunft in Amsterdam mit je drei Milchkaffee zu feiern. Als die Wolken sich kurzzeitig auflockerten, wagten wir einen Spaziergang durch die Stadt, saßen aber nur ein paar Stunden später wieder in der selben Straße und nahmen drei Freunde aus Flandern in Empfang. Erst gegen Abend beteiligte ich mich an den allgemeinen Feierlichkeiten und gesellte mich zu Fleur und Keke in die Reguliersdwaarsstraat. Henning, ein Kommilitone aus Berlin, der seit einiger Zeit in Amsterdam wohnt, stieß auch noch dazu und der Abend wurde lang. Das Straßenfest verlagerte sich zusehends mehr in die Bars und Clubs, als auch hier die Türen schlossen, tingelten die Uebriggebliebenen weiter zu den Aftershowpartys. Meine persönliche Aftershow dauerte bis 13h am Sonntagmittag und endete schlafend in Fleurs Hausflur. Abgesehen von der kurzen Episode, wie Anne-Marie mich dort aufliest und zu Bett bringt, verläuft mein restlicher Sonntag recht ereignislos.
Kosten/Strecke: 7,80€/20km Was ich gelernt habe: Es gibt einen richtigen Zeitpunkt, um Partys zu verlassen. Meistens liegt der vor „Kommt, lasst uns noch weiterziehen!" Was ich hätte brauchen können: Anne-Marie Es schien sich unter unseren Fahrern eingebürgert zu haben, uns noch etwas auf den Weg mitgeben zu wollen. Während es bei Ludwig noch ein kühler, aber ostfriesischer Handschlag war, gab uns in Rhede ein LKW-Fahrer sogar eine Tüte Karamellbonbons und wünschte uns viel Glück. Der Familienvater, der uns nach Groningen fuhr, schenkte uns zwei Ausgaben des Kartenspiels, das sein 11-jähriger Sohn erfunden hatte und wir versprachen, es in Berlin auch mal zu spielen. (Die Spielanleitung hatten wir bereits im Auto ausführlich besprochen.) Das Trampen schien in den Niederlanden generell besser zu funktionieren: in größeren Städten sind hier sogenannte 'Lifthaltes' eingerichtet, spezielle verkehrsgünstige Plätze, die öffentlich zum Trampen ausgeschrieben sind. An solch eine Lifthalte stellten wir uns, nachdem wir den sonnigen Tag in Groningen verbracht hatten. Die Müdigkeit steckte uns noch immer in den Knochen und wir wären beide lieber in einen Zug gestiegen, aber wir malten wieder unser Schildchen und stellten uns in der Nähe vom Groninger Hauptbahnhof auf. Gerade als unweit von uns ein Motorradfahrer einen kleinen Unfall hatte und wir vom Trampen abgelenkt waren, hielt jemand an, um uns ein Stückchen die Autobahn entlang mitzunehmen. Die Freude über das Weiterkommen überlagerte unsere Sorge um den Motorradfahrer und wir überließen ihn seinem Schicksal. Unser Fahrer sprach einen unglaublich breiten Groninger Dialekt, sodass Anne-Marie trotz hervorragender Niederländischkenntnisse häufig Mühe hatte, ihm zu folgen. Wir hatten inzwischen eine Regelung gefunden, wer auf dem Beifahrersitz Platz nehmen sollte: immer der, der gerade mehr dazu in der Verfassung war, viel zu sprechen. Langsam etablierte sich bei uns ein Smalltalkschema, das wir mit der Zeit perfektionierten. Wir warfen uns verbal den Ball zu, verfeinerten einige charmante Anekdoten und wurden so zu kurzweiligen Entertainern. Wir legten uns bereits Floskeln zurecht, die am Ende der Fahrt unsere unendliche Dankbarkeit zeigen sollten (Vielen Dank, dass du uns auf unserer Reise ein Stückchen weitergebracht hast!) und stimmten kleine Jubelgesänge an, sobald wir uns dem Ziel näherten. (Wow, das ist echt so toll!) Jeder Fahrer wurde von uns mit dem Gefühl entlohnt, etwas Gutes getan zu haben.
Zwischen den Rastplätzen Hoogeveen und Amersfort, beide irgendwo im niederländischen Nirgendwo, kamen erstmals politische Themen auf. Es bot sich an, denn unser Fahrer war sehr gebildet und wollte uns daran teilhaben lassen. Dass wir von den meisten Dingen während unseres Niederlandistikstudiums schon gehört hatten, verschwiegen wir. Er hatte eine ruhige Stimme, redete langsam und freute sich immer, wenn er irgendeine Information in die Freiheit unserer Köpfe entließ. Die letzte Etappe auf unserem Weg in die niederländische Hauptstadt sollte zugleich auch die seltsamste werden. Nachdem wir bereits anderthalb Stunden auf dem Rastplatz vertrödelt hatten, fiel uns ein junger Mann auf, der alleine in seinem nicht sehr teuren Auto fuhr – unserer Erfahrung nach eine 10 auf der Fahrer-Skala. Tatsächlich schien er auch recht unkompliziert, sah auch in dem Fahrrad auf seiner Rückbank kein wirkliches Hindernis uns mitzunehmen und so waren wir zehn Minuten später auf dem Weg nach Amsterdam. Anne-Marie kam schnell mit ihm ins Gespräch, während er bei geschlossenen Fenstern eine Zigarette rauchte. Keiner weiß mehr genau, an welcher Abzweigung in der Konversation wir falsch abgebogen waren, jedenfalls bot er Anne-Marie relativ zielstrebig Pillen an, die er offensichtlich im Ueberfluss zu besitzen schien. Anne-Marie, Gemütszustand schockiert bis amüsiert, lehnte dieses Geschenk dankend ab. Unser Fahrer ließ sich nicht beirren und erzählte von dem Electrofestival, das er am Wochenende besuchen würde, während er weitere fünf Zigaretten genüsslich hintereinander wegzog. Ich, zusammengepfercht auf der Rückbank, erlebte leichte Erstickungszustände. Schließlich kamen wir in irgendeinem gottverlassenen Vorort von Amsterdam an, nahmen einen Bus Richtung Zentrum und quartierten uns bei Fleur, einer niederländischen Freundin aus Berlin, ein. Kosten/Strecke: 2,60€/263km Was wir gelernt haben: Wie man – theoretisch – drei Tage am Stück wach bleiben kann Was wir hätten brauchen können: Sauerstoffzufuhr Die Segel für die Flucht aus Schortens waren gesetzt und die Winde schienen günstig. Bereits nach fünf Minuten Warten wurden wir nach Oldenburg gebracht. Unser Fahrer machte irgendwas mit Computern, wir beide heuchelten Interesse. Das Gespräch nahm eine ungeahnte Wendung und endete schließlich bei der Russendisko, die er unbedingt mal besuchen wolle. Ein kurzer Moment, in dem mir auffiel, dass uns tatsächlich noch keine Frau mitgenommen hat – trotz vermeintlichem Pärchen-Bonus. Mit dem Bus in die Oldenburger Innenstadt fuhren wir diesmal schwarz, um unsere Weg-Kosten-Rechnung nicht unnötig zu ruinieren. Während wir uns in der Innenstadt mit Freunden trafen, probierten Anne-Marie und ich, eine Schlafmöglichkeit für die Nacht zu organisieren. Außer einem Platz auf nacktem Boden wurde uns jedoch nichts angeboten und wir beschlossen, dass wir auch auf unserem weiteren Weg etwas Aequivalentes finden könnten. Hätten wir bloß da schon gewusst, wie Recht wir damit haben sollten.
Während wir also zwei geschlagene Stunden an der Autobahnauffahrt auf eine adäquate Mitfahrgelegenheit warteten, fielen uns plötzlich eine Menge Dinge ein, die unbedingt noch erledigt werden mussten. Anne-Marie musste beispielsweise dringend Zigarettendrehen lernen (Filterzigaretten wirken zu bourgeois, um zu trampen. Kann in Holland auch sonst von Vorteil sein.), ich hingegen dachte mir aus, wofür einige Kfz-Abkürzungen wirklich stehen. (WTM - Wir töten Menschen, CLP - Christliches Lumpenpack) Nach den oben erwähnten zwei Stunden erlöste uns schließlich Ludwig von der Schmach, unseren Negativ-Warterekord zu brechen und fuhr mit uns nach Leer. Ludwig kam aus Leer, hatte uns bereits vor zwei Stunden mal gesehen und nun Mitleid bekommen. Ludwig sprach mit solch einem starken ostfriesischen Dialekt, dass Anne-Marie sich völlig aus dem Gespräch ausschaltete und ich umso mehr selbigen adaptierte. Wir redeten über Leer und Berlin, probierten Gemeinsamkeiten zu finden und verwarfen diesen Versuch sofort wieder. Ludwig war sympathisch und ich hätte ihn trotz seiner 38 Jahre gerne als Großvater adoptiert. Auch weil ich der Grund war, warum er angehalten hat. „Ich bin nicht schwul, aber nur eine Frau – da hätte ich nicht angehalten. Wer weiß, was die einem dann später anhängt.“ Aus Ludwig schien das Leben zu sprechen und da diese Sympathie offensichtlich beiderseitig aufkeimte, fuhr er uns sogar bis zum Leeraner Bahnhof, an dem er die größten Chancen auf Weiterfahrt vemutete. Außer einer Gruppe Spanier, die versehentlich nicht in den Zug zum Bremer Flughafen eingestiegen sind, und einem Taxifahrer, der das große Geschäft witterte, war weit und breit niemand zu sehen. Hin und wieder fuhren ein paar Jugendliche in ihren tiefergelegten Autos vorbei, um fünf Runden in dem Kreisverkehr zu drehen. Eine junge Frau bot sich außerdem an, uns in die Jugendherberge zu bringen – oder auch früh um 6 Uhr zur niederländischen Grenze. Letzteres nahmen wir an und tauschten Handynummern mit Eyla. Weil auch sonst keiner nach Holland wollte, beschlossen Anne-Marie und ich, die Leeraner Innenstadt zu erkunden. Unsere Müdigkeit hielt uns nicht davon ab, den erstbesten (und vermutlich einzigen) Laden zu betreten. Es war das Jameson's Pub am Mühlenplatz und man kann guten Gewissens sagen, hier brummte der Bär. Die Bandbreite an Menschen war kaum zu übertreffen. Da wäre zum einen Petra, die Dame hinter der Bar, die förmlich darauf wartete, dass endlich jemand ihre groß angekündigten Sommercocktails bestellte. Noch bevor wir einen Schluck nehmen konnten, plauderte sie schon das Rezept aus. An der Bar saß ein Mann, der mit seiner wasserstoffblonden Lockenmähne einer norwegischen Version des frühen Jon Bon Jovi glich; neben ihm Willygo, der zu späterer Stunde noch das Gespräch mit Anne-Marie suchte. „Das ist'ne tolle Locke“, lallte er und meinte ihre Frisur. „Und schöne Augen hast du auch.“ Bevor er noch weitere Körperteile lobhudeln konnte, stand allerdings schon das Taxi bereit, das Petra ihm gerufen hatte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass, wenn man schon an einem Donnerstagabend in irgendeiner deutschen Kleinstadt stranden musste, es doch wenigstens Leer sein musste. Um kurz vor 3 verließ uns schließlich der Partyesprit und wir schlugen mangels Alternativen in der Bankfiliale gegenüber unsere Zelte auf. Es war unbequem auf dem Fliesenfußboden und angesichts der drohenden Erniedrigung hier vorgefunden zu werden, konnten wir kaum ein Auge zu tun. Ich fragte mich, was meine Mutter nun wohl von dieser Situation finden würde und ob das nicht etwas zu viel des Abenteuers sei. Ich stellte mir vor, wie wir doch einschliefen und am nächsten Tag von der ersten Bankangestellten überrascht werden würden. Ich überlegte außerdem, wie viel ein Taxi von Leer nach Berlin wohl kosten mag. Aber alles half nichts, auch die schlimmste Nacht unserer bisherigen Reise ging vorüber und wir standen um 6 Uhr frisch wie Zahnpasta auf dem Bahnhofsvorplatz, um Eyla zu treffen. Eyla hätte Ludwigs Tochter sein können. Sie war genauso witzig, ohne irgendwelche Pointen betonen zu müssen, der gleiche ostfriesische Singsang. Eyla war viel gereist, immer per Anhalter. „Irgendwann wollte ich eine Woche abschalten in Dänemark. Ich hab dort so viel gekifft, dass ich am nächsten Tag in Paris aufwachte und nicht wusste warum.“ Anne-Marie und ich schauten uns verwundert an ob dieser unerklärlichen Magie. Kurz vor Rhede an der Ems schubste Eyla uns in die Morgendämmerung und empfahl uns das Frühstück „bei Rudi“. Rudi empfahl uns nach dem Frühstück eine geeignete Stelle zum Trampen. Klappte anfänglich eher nicht so gut, aber schließlich nahm ein junger Niederländer uns über die Grenze mit und setzte uns in Winschoten wieder aus. Dort gaben wir unser Bestes, um schnell weiter zu kommen. Die Niederländer schienen anfangs auch tatsächlich freundlicher als die Deutschen; sie winkten, lächelten uns zu und hupten – aber keiner hielt an. Nach einer Stunde erbarmte sich ein Familienvater und fuhr uns nach Groningen. Auch er hatte uns schon auf dem Hinweg gesehen und auf dem Rückweg Mitleid bekommen. Kosten/Strecke: 0€/217km Was wir gelernt haben: Plattdeutsch, von Ludwig Was wir hätten brauchen können: Freunde in Leer Der Besuch bei meiner Mutter verlief wie erwartet. Die anfängliche Freude über das Wiedersehen wurde schnell überlagert von der Oednis, die meinem Heimatdorf eigen ist. Ich zeigte Anne-Marie die gesamte Ortschaft und leitete dann schnell über zu Jever, was wesentlich älter, hübscher und repräsentativer ist. Weil wir das Auto meiner Mutter benutzten, hatte ich die Gelegenheit, meine eingeschlafenen Fahrkünste wieder zu erwecken. In Jever schlenderten wir über die Hauptflaniermeile, kauften Postkarten und suchten Zerstreuung in einem der charmanten Kleinstadtcafés, deren Getränkekarten zwar keine Bionade kennen, dafür aber ausgezeichneten Milchcafé. Wir aßen Labskaus und Matjesfilets zu Mittag, begrüßten jeden mit 'Moin' (Ja. Auch nachmittags.) und fühlten uns wunderbar norddeutsch. Am späten Nachmittag besuchten wir das Schloss Jever, das inzwischen ein Museum beherbergt. Ich hatte die Ausstellung in meiner Jugend zwar bereits gefühlte zwanzig mal gesehen, konnte meiner Heimat aber nun (aus touristischer Distanz betrachtet) wesentlich mehr abgewinnen als damals. Der Besuch an der Nordsee, der der eigentliche Grund für unseren Urlaub gewesen war, wurde wegen schlechten Wetters auf den Abend verlegt. Statt zu schwimmen und uns in der Sonne zu lümmeln, liefen wir bei Dämmerung dick eingekleidet am Strand von Hooksiel entlang. Von weitem hörten wir ein adipöses Kind, das seinen Eltern fortdauernd berichtete, welche Schalentiere es gefunden hatte.
Kosten/Strecke: 0€/47km Was wir gelernt haben: so ziemlich alles über Fräulein Maria von Jever Was wir hätten brauchen können: ein Teleskop für den atemberaubenden Nachthimmel auf dem Land Erst waren es bloß ein paar Tropfen, kurze Zeit später ein ausgewachsener Regenschauer. Anne-Marie und ich sitzen an der Autobahnauffahrt Spanische Allee im Südwesten Berlins, im Gras hinter uns liegen unsere Reisetaschen. Sie hält ein Schild mit der Aufschrift 'Bremen/Hannover' in der Hand, ich strecke unaufhörlich meinen Daumen in die Luft und suche Blickkontakt zu den Autofahrern. Wir hätten bereits begonnen zu zweifeln, ob per Anhalter fahren nicht ein Relikt vergangener Zeiten ist, wenn wir nicht schon drei Tramperpärchen vor uns hätten wegfahren sehen. All diese Leute ließen sich auf ein bestimmtes Erscheinungsbild reduzieren: überdimensionaler Rucksack, mehrfarbige Strickbekleidung und ungestümer Haarwuchs. „Wie können die Menschen so herzlos sein? Man kann uns doch nicht dafür bestrafen, dass wir uns geschmackvoll kleiden.“, sagte sie weinerlich. Seit drei Stunden standen wir bereits an Ort und Stelle, haben wildfremde Menschen angesprochen, Schilder gemalt und reiselustig drein geschaut. Die meisten Fahrer schauten mitleidig zurück und fuhren weiter. „Es liegt an deiner Hose.“, schlussfolgerte endlich Anne-Marie, „Vintage in Brüssel kaufen, aber umsonst dort hin fahren wollen. Das passt nicht zusammen. Wir sehen nicht arm genug aus.“ Ich setzte bereits an zu einem erhitzten Vortrag über belgische Designer, als uns der blaue Twingo aus Sachsen-Anhalt ansprach.
Er fahre zwar nicht in unsere Richtung, könne uns aber zum nächsten Rasthof mitnehmen. Chancenoptimierung, sagte er noch, und dass er Wirtschaft studiert habe. Gerade fertig geworden, jetzt hatte er ein Vorstellungsgespräch in Berlin. „Gibt Schlimmeres“, tönten Anne-Marie und ich von der Rückbank und waren glücklich, unserem Ziel 25 km näher zu kommen. Von da an ging plötzlich alles ganz schnell. In Michendorf hatten wir innerhalb von fünf Minuten ein kroatisches Ehepaar aus Emden beschwatzt, uns mit nach Oldenburg zu nehmen. Anfangs gaben wir uns noch Mühe, ihnen zuzuhören (sie hatten ihre Tochter besucht, die gerade nach Berlin gezogen war), doch bereits nach einer Viertelstunde zwang uns der Schlafmangel der letzten Nacht in die Rückbankpolster. Erst kurz vor Oldenburg wurden wir wieder wach und erwarteten sehnsüchtig das Ende unserer ersten Etappe. Irgendwo in der oldenburgischen Kleinstadtperipherie wurden wir lieblos ausgesetzt und stiegen in einen Bus Richtung Innenstadt. Wir trafen uns mit zwei Freundinnen von früher und traten nach zwei Stunden bereits die Weiterreise an. Diesmal wollten wir im Zug trampen und wurden am Bahnsteig 5 auch schnell fündig. Eine Mutter, die mit ihrer Tochter wartete, wollte uns auf ihrem Niedersachsenticket mitfahren lassen, allerdings war die Frau geschäftstüchtiger, als wir zunächst annahmen: mit zehn Euro sollten wir uns beteiligen. Wir handelten sie auf acht herunter und stiegen in den Zug Richtung Heimat. Vier Stationen und dreißig Minuten friesische Einöde später holte uns schließlich meine Mutter vom Schortenser Bahnhof ab. Kosten/Strecke: 5,60€/478km Was wir gelernt haben: Trampen hat viel mit Mitleid zu tun Was wir hätten brauchen können: einen Poncho, möglichst bunt |
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Mai 2018
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