Ich glaube an Karma. Man tut etwas Gutes und irgendwann kommt es zurück. Kürzlich saß ich mit einem Mann am Tisch, der mir erzählen wollte, dass die Migranten in Deutschland an allem Schuld seien. Migranten seien persé kriminell, schlecht gebildet und wollen sich alle nicht integrieren, das war sein Standpunkt. Kulturelle Bereicherung war meiner. Die Diskussion endete damit, dass ich vom Tisch aufstand mit dem Satz: „Ich freue mich, wenn dieses Gedankengut mit eurer Generation ausstirbt." Sicher, das war der hässliche Gipfel einer hässlichen Diskussion, aber ich war mir sicher, mein ergreifendes Plädoyer für die kulturelle Vielfalt in unserem Land würde mir auf meinem Karma-Konto gutgeschrieben werden.
Nach einem regnerischen Tag in Rotterdam, rafften Anne-Marie und ich uns auf, um weiter zu trampen Richtung Belgien. Ein Rotterdammer, den ich am vorigen Abend kennengelernt hatte, hatte mir einen guten Platz zum Trampen verraten - eine Tankstelle kurz vor der Autobahn. Mit unseren Reisetaschen trotteten wir also den Weg entlang, von dem wir nur vage vermuten konnten, wohin er führte - Beschilderungen waren nämlich Mangelware. Eine gute Dreiviertelstunde später, wir hatten inzwischen die Nieuwe Maas überquert und befanden uns nun auf der südlichen Flussseite, waren immernoch weder Autobahn noch Tankstelle in Sicht. Von der Nordsee her näherte sich eine bedrohlich dunkle Wolke. Bei meiner rollbaren Reisetasche waren inzwischen die Stange zum Ziehen und die Rollen zu Bruch gegangen, sodass ich sie auf dem Rücken tragen musste. Anne-Marie schien ebenfalls genervt von der Situation. Aus Mangel an anderen guten Ideen packten wir an Ort und Stelle unser Schildchen aus und hielten es den Autofahrern entgegen. Keine zwei Minuten später hielt ein roter Fiat an, drinnen saß ein Mann südländischer Abstammung, der weder gut Niederländisch noch Englisch verstand. Er half uns unsere Taschen in den Kofferraum zu packen und wir fuhren los. Durch einfache Fragen fand ich heraus, dass er nur des Kurdischen, Türkischen und Arabischen mächtig war. Wir versuchten ihm begreiflich zu machen, wo wir hinwollten, wiederholten 'Belgium. België. Belgique' in allen Sprachen, die uns einfielen und tatsächlich holte er sein Navigationssystem aus dem Handschuhfach und tippte Belgien ein. (Zumindest einen arabischen Schriftzug, neben dem die belgische Flagge abgebildet war) Er lächelte uns beiden zu, als ob er sagen wollte „Ich verstehe euch nicht, ihr mich nicht, aber egal. Das wird schon." Weil er selbst offensichtlich in Rotterdam wohnte und eigentlich gar nicht rausfahren wollte, erzählte ich ihm von der Tankstelle. Diese ließ er jedoch in seinem rechten Rückspiegel verschwinden und fuhr auf die Autobahn. „Diesel", sagte er bloß, wie um anzudeuten, dass längere Strecken ihn nicht finanziell ruinieren würden. Im Endeffekt fuhr er uns nach Breda, was etwa auf halber Strecke zwischen Rotterdam und Antwerpen liegt. Ich wiederholte immer wieder 'Schukran' – eine libanesische Freundin hatte mir mal beigebracht, dass das Danke heißt. Er ließ uns raus, nickte uns noch freundlich zu und machte sich wieder auf den Rückweg Richtung Rotterdam. Wir standen am Straßenrand, noch völlig verblüfft von so viel Freundlichkeit und redeten über Karma. Vielleicht wollte uns jemand für den regnerischen Tag entschädigen, für all die Strapazen, die wir in Rotterdam hatten oder uns einfach dafür belohnen, dass wir den Menschen ein gutes Wesen unterstellen. Der Mann, mit dem ich damals die Diskussion über Migranten hatte, liegt heute übrigens im Krankenhaus. Es hatte ein Herzanfall, während er gerade als Hausmakler auf Sylt unterwegs war. Es wäre fast zu spät gewesen, auf Sylt wollte offensichtlich keiner anhalten. Wir hatten unsere Freude kaum ordnen können, da hielt auch schon der nächste an. Rodrigo, ein in Antwerpen wohnhafter Dominikaner (Nicht der Orden, sondern die Republik). Er erzählte uns, er sei nach Breda gefahren, um dort einen Joint zu rauchen. Zehn Gramm Marihuana habe er auch mitgenommen, sagte er und öffnete wie zum Beweis das Handschuhfach. Ob denn an der Grenze nicht kontrolliert würde, erkundigte ich mich und sah mich schon unfreiwillig in einen Drogenskandal verwickelt. Rodrigo schüttelte den Kopf. Er sei da ganz zuversichtlich. Und wenn doch, dann ist es eben weg. Rodrigo trug eine schwarze Rahmenbrille und einen Vollbart. Er erzählte uns von seiner Frau und von dem Mädchen, wegen dem er vor zehn Jahren nach Belgien gezogen ist. Wir trauten uns nicht, zu fragen, ob es dieselbe ist. Rodrigo redete viel und es war angenehm, ihm zuzuhören. Gegen Abend ließ er uns in Antwerpen-Zurenborg raus, obwohl er selbst schon eine Abfahrt früher hätte nehmen können. Wir waren quasi vor der Haustür von Joke, einer Freundin von uns, bei der wir übernachteten. Kosten/Strecke: 0€/109km Was wir gelernt haben: dass am Ende doch alles wieder gut wird Was wir hätten brauchen können: Grundkenntisse in Arabisch
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zeit~fliegt
Mai 2018
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