Amsterdam fancy - bürgerlich - schnittig - pittoresk - teuer - gesellig - hip - snobby - international - weltoffen - grün - pragmatisch - bohéme - gay - seicht - liederlich - holländisch - eitel - geordnet - arriviert - flüssig - reich - klassisch - frivol - protestantisch - schmuck - slow Rotterdam maritim - urban - ruppig - lückenhaft - ursprünglich - modern - multikulturell - tolerant - günstig - weit - grau - ungemütlich - jung - innovativ - schäbig - schroff - ironisch - unfertig - arm - ungewöhnlich - rau - windig - bodenständig - ehrlich - hässlich - treu - zentral Antwerpen stylisch - ruhig - mittelalterlich - mondän - konservativ - kulturell - chic - katholisch - verschlossen - flämisch - tüchtig - gemütlich - traditionell - bedingungslos - golden - fein - blasiert - malerisch - geschäftig - tugendhaft - romantisch - adrett - klein - eng - bourgeois Brüssel unbesonnen - groß - mediterran - laut - rumpelig - aufregend - zwielichtig - frankophon - europäisch - liberal - dynamisch - bunt - rastlos - exquisit - flüchtig - verrückt - dunkel - diffus - unanständig - dekadent - zerrissen - schmutzig - kosmopolit - schnell - hügelig
0 Kommentare
mainz & wiesbaden, deutschland mayence & wiesbaden, allemagne mainz & wiesbaden, duitsland antwerpen, brügge & brüssel, belgien
anvers, bruges & bruxlles, belgique antwerpen, brugge & brussel, belgië Die einzigen Möbelstücke in meinem Zimmer sind eine Luftmatratze und ein Trockner. Eine Heizung gibt es nicht, hin und wieder fällt das Wasser aus. Etwas blauäugig hatte ich vor einem Monat mein Auslandssemester im belgischen Antwerpen angetreten und dieses Zimmer bezogen. Genau einen Monat hielt ich es aus, bevor ich ernsthaft in Erwägung zog, zurück in die mir bekannten und geliebten Berliner Gefilde zu flüchten.
In einer ausländischen Stadt anzukommen und sich wohl zu fühlen ist ungleich schwerer als dasselbe Unterfangen innerhalb Deutschlands zu bestreiten. Es gilt, kulturelle Gepflogenheiten zu begreifen, sprachliche Hürden zu nehmen und sich in soziale Netzwerke einzugliedern. In meinem Fall klappte all das super, der einzige große Maluspunkt war meine katastrophale Wohnsituation. Das friesische Dorfkind in mir wollte einfach nur nach Hause, in seine gewohnte Umgebung und so lange weinen, bis alles wieder gut wäre. Der Wahlkreuzberger in mir jedoch dachte: „Wer den Berliner Bären bezwungen hat, braucht vor dem flämischen Löwen keine Angst mehr zu haben.“ Zwar hatte mein innerer Kreuzberger zweifellos Recht, jedoch wenig Lust sich wochenlang durch Ämter und Maklerbüros zu drängeln. So kam es, dass ich eines Nachts mit selbstgemalten Flugblättern durch die Antwerpener Innenstadt ging und sämtliche Häuserwände mit meiner Bitte um ein schöneres Leben tapezierte. „Ich bin Kreuzberg, du Muschi!“, sagte ich immer wieder leise, als ob Antwerpen mich hören könnte. Auf dem Flugblatt stand in Großbuchstaben „Schönes Leben gesucht“, fünf Zeilen Lebensgeschichte, die Antwerpener Herzen zum Schmelzen bringen sollten und meine Telefonnummer. Ich hatte kaum richtig schlafen können, da klingelte mein Telefon im Fünfminutentakt. Eine ältere Dame, die mich anrief, weil sie einen neuen Enkelsohn brauchte. Studenten, die mit mir etwas trinken gehen wollten. Ein Junge, der auf ein unverfängliches Tête-à-tête hoffte. Halb Antwerpen hatte Mitleid mit dem gestrandeten Deutschen und auf seine Art wollte jeder sein Leben etwas schöner machen. Ein Mann vom regionalen Fernsehsender fand meine Flugzettel einfach nur fucking awsome und drehte einen Beitrag für die 20-Uhr-Nachrichten. Ich wurde angekündigt als ein Symbol für die Anonymität in der Großstadt. Große Aufregung überall, dabei hatte ich bloß ein paar Flugblätter aufgehangen. Zwar hatte ich noch immer keine Wohnung, Antwerpen hatte nun aber seine eigene Amélie Poulain. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass im Durchschnitt jeder Mensch in seinem Leben fünfzehn Minuten berühmt ist. Durch Fernsehbeiträge und Zeitungsartikel hielt meine Popularität noch ein Weilchen an und anfangs profitierte ich auch ganz gut davon. Die Frau in der Universitätsbibliothek ließ mich mehr Bücher ausleihen als erlaubt war (Er hat ja sonst nichts!) und die Verkäuferin im Second-Hand-Laden gab mir fünfzig Prozent Rabatt auf meine Einkäufe (Ich war im Sommer in Berlin. Berlin ist ja so cool!). Auf Partys brauchte ich mich nicht mehr vorzustellen, meine Name war allseits bekannt. Meine ursprüngliche Absicht, einfach nur ein normales Leben in Antwerpen führen zu können, hatte sich ins absolute Gegenteil umgekehrt. Ich war besonderer und exotischer als je zuvor, ein Abziehbild, auf das jeder seine eigenen Unzulänglichkeiten projizieren konnte. Nicht so schlimm, wenn einen der eigene Job langweilte, der Deutsche hatte schließlich gar keinen. Die Weltreise, von der man immer geträumt hatte? Ganz gut, dass man sie nicht gemacht hat. Man sieht ja an dem Deutschen, was dabei raus kommt. Die eigene Einsamkeit wollte man mit dem Deutschen überbrücken, gut getarnt als Barmherzigkeit. Es war mein innerer Kreuzberger, den man wegen seiner Einfachheit tätschelte und belächelte, um es sich dann wieder in seiner bürgerlichen Spießigkeit gemütlich zu machen und lächelnd ein paar Sätze zu sagen, die mit „Die Jugend von heute...“ beginnen. Ein paar Monate spielte ich das Spielchen noch mit, erzählte meine Geschichte wieder und wieder, ließ mich anschauen wie ein Hundewelpe ohne Eltern und entschied mich schließlich ins fünfzig Kilometer entfernte Brüssel zu ziehen. Eine Großstadt, nein, Weltstadt sogar, Hort der Entwurzelten. Mehr als die Hälfte der Brüsseler sind keine Belgier, auf den Straßen herrscht ein babylonisches Sprachenwirrwarr. Die Häuserwände sind von oben bis unten beklebt mit bunten Plakaten, keiner würdigt sie auch nur eines Blickes. Ich fand ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft: ein hübscher Altbau in einem hochpreisigen Stadtviertel, drei sympathische Mitbewohner, geschmackvolle Einrichtung. Nur einen Trockner hatten wir nicht. Als Anne-Marie und ich an der Turnhoutsebaan in Antwerpen standen, um unsere letzte Etappe auf unserem Roadtrip anzutreten, begannen wir, selbigen zu resümieren. Wir betrauerten die Tatsache, dass wir weder bei einem Truckie noch bei einer Frau mitgefahren waren (Eyla aus Leer zählt nicht, die entsprach nicht dem Typ Frau, den man davon hätte überzeugen müssen, Tramper mitzunehmen). Die letzten Tage in Antwerpen entpuppten sich als krönender Abschluss einer sowieso unbeschreiblichen Reise und wir waren uns sicher, dass wir in diesem Sommer 2010 unseren Vorrat an Anekdoten mindestens verdoppelt hatten. Nachdem wir an der Autobahnauffahrt Richtung Lüttich jedoch auch bereits eine Stunde warteten, kamen uns Zweifel, ob wir wirklich Lust auf diese letzte Anekdote hatten. Als die Stimmung gerade an einem Tiefpunkt angekommen war, hielt plötzlich ein Red-Bull-Promo-Auto, am Steuer saß eine junge Frau, die gesamte Rückbank war voll mit Red-Bull-Dosen. „Um euch ein bisschen zu unterstützen!", sagte sie - und drückte uns jedem eine Dose chemische Energie in die Hand. Passend zu dem Getränk hielt 5 Minuten später ein tiefergelegter Kleinwagen, aus dem lauter Techno dröhnte. Drinnen saß Wim, der seinen Wagen zu einer fahrenden Musikanlage umgebaut hatte. Er fuhr uns in Höchstgeschwindigkeit zur nächsten Raststätte nach Ranst, Anne-Marie verschüttete ihr Red Bull auf seiner Rückbank und hoffte, es würde trocknen, bevor er es bemerkt.
An der Raststätte mussten wir nicht lange warten, bevor der erste Wagen hielt. Das Blöde war, wir bemerkten es nicht, weil Anne-Marie mich gerade auf irgenetwas „total Gruseliges" im Gebüsch aufmerksam machen wollte. Also standen wir beide da, das Schild, Aufschrift "Lüttich/Köln", in der Hand, die Blicke Richtung Dunkelheit und ließen den Kleinwagen ungesehen ziehen, der – so redeten wir uns ein – garantiert eh nicht in unsere Richtung gefahren wäre. Fünf Minuten später, es war inzwischen bereits dunkel, hielt ein Truck mit rumänischem Kennzeichen. Wir stiegen ein und probierten, uns mit dem Fahrer zu verständigen. Er sprach nur Rumänisch und vielleicht Italienisch, wir konnten das nicht so genau entziffern. Ich antwortete mit irgendeinem Spanisch-Portugiesisch-Mix und es muss ein göttliches Bild abgegeben haben, wie wir verzweifelt probierten, miteinander zu reden und doch nichts verstanden. Seine Name war Gheorghe oder irgendwas, was so ähnlich klingt. Gheorghe fuhr nach Öesterreich und es sollte unsere nächste Aufgabe werden, mithilfe von Landkarten herauszufinden, wo sich unsere Wege trennten. Wir entschieden uns für Aachen und ließen uns dort an einer Raststätte absetzen. Immerhin waren wir schonmal wieder in Deutschland. Wir konnten uns kaum über unseren ersten Truckie freuen, da hielt auch schon der Nächste. Rolli, 43 Jahre alt aus Dessau. Anfänglich wollten wir bloß nach Köln fahren, um dort bei einer Freundin zu übernachten. Als Rolli jedoch von Bitterfeld in Sachsen-Anhalt erzählte, witterten wir bereits Hauptstadtluft. Wir entschieden uns also dazu, mit Rolli bei 80km/h durch Deutschland zu rollen und nicht mehr in Köln Halt zu machen. Rolli war ein freundlicher Typ. Sofort bot er Anne-Marie, die bereits müde wurde, sein Bett an. Eine halbe Stunde später hatte diese es sich in Rollis Bettwäsche bequem gemacht und schlief seelenruhig auf Deutschlands Autobahnen, während ich mich stundenlang mit Rolli unterhielt. Rolli erzählte von LKWs und dass er seinen Job liebte. Immer wieder präsentierte er mir Informationen „von denen mir die Ohren schlackern würden" - das war sein Lieblingsspruch – oder zeigte mir andere LKWs, die „mit allen Dood un Deibel" ausgestattet waren – Nummer 2 in seiner Redewendungen-Hitparade. An mir war er gar nicht interessiert, immer wieder fiel er mir ins Wort, wenn ich probierte, ihm von unserem Urlaub zu erzählen. Wenn er doch mal zuhörte, nutzte er jede Geschichte, um wieder zu sich selbst überzuleiten. Rolli redete gern. Oder vielleicht wollte er manche Dinge einfach mal los werden. Seine größte Sorge wurde es, Anne-Marie den Aufenthalt in seinem Truck so angenehm wie möglich zu gestalten: er achtete penibel darauf, dass nicht zwei Fenster auf einmal geöffnet waren, Anne-Marie wäre es sonst zu kalt geworden. Er umfuhr ganze Landstraßen, weil diese seiner Meinung nach zu holprig waren und Anne-Marie aufwachen könnte. Wenn ein Lied im Radio lief, bei dem Anne-Marie vorher mitgesungen hatte, drehte er es langsam ein bisschen lauter und warf einen Blick nach hinten – vielleicht freute sie sich im Schlaf darüber. Anne-Marie wurde während dieser siebenstündigen Fahrt nach Bitterfeld also umsorgt wie eine Prinzessin, während ich Mühe hatte, mich wach zu halten. Wir waren inzwischen bei LKW-Gewerkschaften und Gefahrengutladungen angekommen, da legte Rolli bei einem Autohof irgendwo im Nichts eine Pause ein. „Gesetzlich vorgeschrieben.", sagte er und tickte auf die digitale Uhr über ihm. Anne-Marie schlief hinten weiter, während Rolli und ich je eine Bockwurst und einen Kaffee zu uns nahmen. Ich wollte noch eben zur Toilette gehen und bat deshalb die Frau hinter der Kasse, mir meinen Zehn-Euro-Schein zu wechseln. „Du bist mit Rolli hier, oder?", fragte sie mich vertraulich. Ich nickte. „Ach, dann brauchst du nichts zu bezahlen." Meine prominente Begleitung hatte mir gerade eine Ersparnis von fünfzig Cent eingebracht. Ich war ein bisschen stolz auf Rolli. In der Truckieszene schien er eine große Nummer zu sein. Als wir weiter fuhren, inzwischen war es etwa 5 Uhr morgens, wurde auch Anne-Marie langsam wieder wach. Rolli erkundigte sich nach ihrem Wohlbefinden. „Gut, gut", sagte sie, während sie sich die Augen rieb und Rolli lächelte zufrieden. Ein paar Stunden später hatten wir dann unsere Bestimmung erreicht: Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, ein trostloses Fleckchen Deutschland irgendwo an der A9, eingehüllt in Morgennebel. Glücklicherweise mussten wir hier nicht länger warten, als ich „BE" auf unser Berlin-Schildchen schreiben konnte. Ohne es wirklich probiert zu haben, nahm uns Maria mit, eine Münchenerin, die auf dem Weg nach Rostock war. Sie arbeitete dort und nahm öfter Tramper mit, auf langen Strecken langweilte sie sich oft. Maria war sympathisch, ich war verdammt müde. Auf der Rückbank schlief ich beinahe ein, während Anne-Marie auf dem Beifahrersitz quickfidel war. In Werder an der Havel ließ Maria uns raus, mit unserem Semesterticket fuhren wir Richtung Berlin. Gegen elf Uhr mittags stiegen wir am Bahnhof Friedrichstraße aus, eine Frau rempelte mich an, noch bevor ich den Zug verlassen konnte. Berlin, wir sind zurück. Kosten/Strecke: 0€/917km Was wir gelernt haben: auch Truckies und Frauen haben ein Herz für Tramper Was wir hätten brauchen können: einen Pokal für den tollsten Truckie der Welt, um ihn Rolli zu überreichen Wieder in Antwerpen zu sein, ist einfach traumhaft. Ich war mir zwischendurch nicht sicher, ob ich hier wirklich die nächsten sieben Monate verbringen möchte, aber bereits nach einem Tag waren alle Zweifel beseitigt. Zuerst wollten Anne-Marie und ich einen Kaffee im Barnini trinken, das Café einer Freundin von mir. Weil wir dort aber leider vor verschlossenen Türen standen, gingen wir weiter ins Caffènation, einem hippen Café in Antwerpens Zentrum. Dort saßen wir inmitten gutaussehender Mittzwanziger und freuten uns, hier zu sein. Im Laufe des Tages kam ich dann endlich dazu, Vintage in Belgien einzukaufen: in der gesamten Stadt herrscht gerade Ausverkauf. Think Twice, ein charmanter Second-Hand-Laden, schmiss sämtliche Kleidungsstücke für je einen Euro raus. Ich erweiterte meine Garderobe um vier Stücke und wurde also nicht mal einen Schein los. Während wir so durch die Stadt flanierten, begegneten mir Charles und Marijana, zwei Bekannte, die ich bei früheren Besuchen in Antwerpen kennengelernt hatte. Ich freute mich wahnsinnig darüber, weil mir klar wurde, dass ich nicht für ein Auslandssemester in eine fremde Stadt gehen würde, ich bin schon längst ein bisschen auch Teil dieser Stadt. Abends traf ich mich mit Jeroen in einem Café in der unmittelbaren Nähe der Onze-Lieve-Vrouwen-Kathedrale und alles war, als sei ich nie weg gewesen. Antwerpen liebt mich und ich liebe Antwerpen. Zu späterer Stunde trafen wir Roel und Kim im Hessenhuis und trotz gähnender Leere hatten wir Spaß. Der Barmann spielte Lieder, die ich mir wünschte, mir wurden Getränke angereicht und den ganzen Abend wurde drinnen geraucht. Alles war so herzallerliebst, dass es mir unbegreiflich ist, wie ich tatsächlich an meinem geplanten Auslandssemester zweifeln konnte.
Kosten/Strecke: 0€/15km Was wir gelernt haben: Klamotten kauft man besser in Belgien Was wir hätten brauchen können: bequeme Schuhe für Anne-Marie Ich glaube an Karma. Man tut etwas Gutes und irgendwann kommt es zurück. Kürzlich saß ich mit einem Mann am Tisch, der mir erzählen wollte, dass die Migranten in Deutschland an allem Schuld seien. Migranten seien persé kriminell, schlecht gebildet und wollen sich alle nicht integrieren, das war sein Standpunkt. Kulturelle Bereicherung war meiner. Die Diskussion endete damit, dass ich vom Tisch aufstand mit dem Satz: „Ich freue mich, wenn dieses Gedankengut mit eurer Generation ausstirbt." Sicher, das war der hässliche Gipfel einer hässlichen Diskussion, aber ich war mir sicher, mein ergreifendes Plädoyer für die kulturelle Vielfalt in unserem Land würde mir auf meinem Karma-Konto gutgeschrieben werden.
Nach einem regnerischen Tag in Rotterdam, rafften Anne-Marie und ich uns auf, um weiter zu trampen Richtung Belgien. Ein Rotterdammer, den ich am vorigen Abend kennengelernt hatte, hatte mir einen guten Platz zum Trampen verraten - eine Tankstelle kurz vor der Autobahn. Mit unseren Reisetaschen trotteten wir also den Weg entlang, von dem wir nur vage vermuten konnten, wohin er führte - Beschilderungen waren nämlich Mangelware. Eine gute Dreiviertelstunde später, wir hatten inzwischen die Nieuwe Maas überquert und befanden uns nun auf der südlichen Flussseite, waren immernoch weder Autobahn noch Tankstelle in Sicht. Von der Nordsee her näherte sich eine bedrohlich dunkle Wolke. Bei meiner rollbaren Reisetasche waren inzwischen die Stange zum Ziehen und die Rollen zu Bruch gegangen, sodass ich sie auf dem Rücken tragen musste. Anne-Marie schien ebenfalls genervt von der Situation. Aus Mangel an anderen guten Ideen packten wir an Ort und Stelle unser Schildchen aus und hielten es den Autofahrern entgegen. Keine zwei Minuten später hielt ein roter Fiat an, drinnen saß ein Mann südländischer Abstammung, der weder gut Niederländisch noch Englisch verstand. Er half uns unsere Taschen in den Kofferraum zu packen und wir fuhren los. Durch einfache Fragen fand ich heraus, dass er nur des Kurdischen, Türkischen und Arabischen mächtig war. Wir versuchten ihm begreiflich zu machen, wo wir hinwollten, wiederholten 'Belgium. België. Belgique' in allen Sprachen, die uns einfielen und tatsächlich holte er sein Navigationssystem aus dem Handschuhfach und tippte Belgien ein. (Zumindest einen arabischen Schriftzug, neben dem die belgische Flagge abgebildet war) Er lächelte uns beiden zu, als ob er sagen wollte „Ich verstehe euch nicht, ihr mich nicht, aber egal. Das wird schon." Weil er selbst offensichtlich in Rotterdam wohnte und eigentlich gar nicht rausfahren wollte, erzählte ich ihm von der Tankstelle. Diese ließ er jedoch in seinem rechten Rückspiegel verschwinden und fuhr auf die Autobahn. „Diesel", sagte er bloß, wie um anzudeuten, dass längere Strecken ihn nicht finanziell ruinieren würden. Im Endeffekt fuhr er uns nach Breda, was etwa auf halber Strecke zwischen Rotterdam und Antwerpen liegt. Ich wiederholte immer wieder 'Schukran' – eine libanesische Freundin hatte mir mal beigebracht, dass das Danke heißt. Er ließ uns raus, nickte uns noch freundlich zu und machte sich wieder auf den Rückweg Richtung Rotterdam. Wir standen am Straßenrand, noch völlig verblüfft von so viel Freundlichkeit und redeten über Karma. Vielleicht wollte uns jemand für den regnerischen Tag entschädigen, für all die Strapazen, die wir in Rotterdam hatten oder uns einfach dafür belohnen, dass wir den Menschen ein gutes Wesen unterstellen. Der Mann, mit dem ich damals die Diskussion über Migranten hatte, liegt heute übrigens im Krankenhaus. Es hatte ein Herzanfall, während er gerade als Hausmakler auf Sylt unterwegs war. Es wäre fast zu spät gewesen, auf Sylt wollte offensichtlich keiner anhalten. Wir hatten unsere Freude kaum ordnen können, da hielt auch schon der nächste an. Rodrigo, ein in Antwerpen wohnhafter Dominikaner (Nicht der Orden, sondern die Republik). Er erzählte uns, er sei nach Breda gefahren, um dort einen Joint zu rauchen. Zehn Gramm Marihuana habe er auch mitgenommen, sagte er und öffnete wie zum Beweis das Handschuhfach. Ob denn an der Grenze nicht kontrolliert würde, erkundigte ich mich und sah mich schon unfreiwillig in einen Drogenskandal verwickelt. Rodrigo schüttelte den Kopf. Er sei da ganz zuversichtlich. Und wenn doch, dann ist es eben weg. Rodrigo trug eine schwarze Rahmenbrille und einen Vollbart. Er erzählte uns von seiner Frau und von dem Mädchen, wegen dem er vor zehn Jahren nach Belgien gezogen ist. Wir trauten uns nicht, zu fragen, ob es dieselbe ist. Rodrigo redete viel und es war angenehm, ihm zuzuhören. Gegen Abend ließ er uns in Antwerpen-Zurenborg raus, obwohl er selbst schon eine Abfahrt früher hätte nehmen können. Wir waren quasi vor der Haustür von Joke, einer Freundin von uns, bei der wir übernachteten. Kosten/Strecke: 0€/109km Was wir gelernt haben: dass am Ende doch alles wieder gut wird Was wir hätten brauchen können: Grundkenntisse in Arabisch |
weltr/eis/e
Alle
zeit~fliegt
Mai 2018
|