Obwohl ich noch nie gut Blut sehen konnte, starrte ich wie gelähmt auf die offene Wunde. Das Rot quoll über die weißen Unterschenkel - sie erschienen mir beinahe etwas zu hell, um echt zu sein. Es wollte mir nicht gelingen mich abzuwenden, mich zu entziehen – nur noch eine entfernte Erinnerung an Lärm und etwas, das nach Frühling schmeckte. Ein Gefühl von Uebelkeit überkam mich. Von der Decke her flackerte mich die Halogenlampe hässlich an wie die Kamera eines Sensationsfotografen. Ich konnte mir die Schlagzeilen in der morgigen Zeitung bildlich vorstellen.
Dieses Mädchen, das vor einigen Stunden noch barfuß über den warmen Asphalt des Ostertorsteinweges sprang, hockte nun vor mir auf der Toilettenbrille einer Diskothek. Das Gebäude war grau und wuchtig, im Inneren zerfraßen die Rhythmen die Gehörgänge der feiernden Masse. Unsere groteske Szenerie wurde akustisch begleitet von der Klospülung in der Damentoilette. Elizaveta richtete ihren Blick wie betäubt an die Decke. Ich übergab mich auf die Fliesen. Der einsame Versuch, das Würgen zu unterdrücken, wich dem Bedürfnis zu entfliehen. Tauschte fernen Lärm gegen frische Luft. „Scheiße, fass die bloß nicht an, du holst dir noch was weg.“ Ich schämte mich. Es war, als ob nach einem langen Flug der Knoten in den Ohren platzt. Schrille Töne, Menschenmassen und wer ist eigentlich diese bizarre Blondine. Elizaveta zitterte nun am ganzen Leib und ich riss Papiertücher aus dem Spender über mir. Sie war uns am selben Abend über den Weg gelaufen. Ihre Augen lächelten mich an, die hellen Dreadlocks waren aufwendig am Hinterkopf verknotet. Ein buntes Gefühl krabbelte in meinen Brustkorb, nahm meinen Arm und warf ihn über ihre Schulter. „Das wird unsere Nacht“, flötete ich und blickte in das fragende Gesicht meines Freundes. „Bei der Wärme trage ich nie Schuhe“, antwortete sie ihm noch bevor er seine rümpfende Nase mit einer Frage untertiteln konnte. Er ahnte Blut und Kotze und spielte von da an keine Rolle mehr. Lächelnd hakte Elizaveta sich bei mir ein und wir betraten das Gebäude. An der hohen Decke hingen Haken wie in einem Schlachthaus, die Grafittis an den Wänden ähnelten Tättowierungen auf weißer Haut. Die Menge bewegte sich gleichmäßig in dem nebligen Kaleidoskop. In meinen Ohren lärmte die Stille. Elektronische Beats malten in meinem Kopf das Bild einer perfekten Nacht. Elizaveta küsste mich in den Nacken und kicherte. Sie hauchte, „Ich glaube nicht an Zufälle“. Ganz selbstverständlich, als ob ich danach gefragt hätte. Ich roch ihren süßen Schweiß, heiße Schauer jagten Körper. Meine Vagabundin trank, wie es sonst nur Männer können. Diese Hüfte schien für meine Hand gemacht zu sein, die Zunge schmeckte nach bitt'rem Gin. Wenn sie heiser lachte, ließ Elizaveta ihren Kopf zurückfallen. Mit der Zeit lösten sich einzelne Zöpfe aus dem Haarknoten. Jeder Blick glich einem Versprechen. Und an irgendeiner Stelle ist mir die Situation entglitten, etwas anderes stark geworden. Verwirrt durchkämmte ich meine Erinnerungen nach Ueberbleibseln, Reliquien der vergangenen Nacht. „Elizaveta“, flüsterte ich immer wieder ihren Namen. Elizaveta. Elizaveta. Da flüsterte ich, hier schreie ich. Gelber Frühling stürzt auf graues Gebäude. Bunte Schrift prangt auf weißen Wänden. Blasse Haut lehnt an weißen Fliesen. Blondes Haar fährt über rosa Schenkel. Rotes Blut läuft auf weißem Bein. Ich nehme die Schöne in meine Arme. Gerate vom Alkohol und zu viel Gefühl in Taumel. Die Treppen runter stolpern, durch die Masse drängen, ein Ellbogen in meinem Gesicht. Ueberall Zigarettenrauch und Kunstnebel. Ich drücke sie fest an mich. Dann die Erlösung: Frische Luft und Morgentau. Ich sacke an der Mauer zusammen, streife Elizaveta über die Wange. In der Nähe ertönen Sirenen und vermengen sich mit meinem Herzschlag. „Ganz ruhig, das ist doch unsere Nacht“, versichere ich uns beiden, als sich zwei Männer in weiß nähern. Ich habe sie nicht wieder gesehen.
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Mai 2018
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