_ Mein Leben ist irre langweilig in letzter Zeit. Hat er sich ja selbst ausgesucht, würde der schlaue Analytiker jetzt sagen, mit dem mich anzufreunden ich bisher tunlichst vermieden habe. Ganz Unrecht hätte diese hypothetische Nervensäge allerdings nicht. Der Nebenjob an der Garderobe zweier angesagter Tanzhäuser des Hamburger Nachtlebens sorgt nicht, wie ursprünglich erwartet, dafür, dass ich der coole Szenetyp wurde, mit dem jeder befreundet sein will. Mit einem Euro begleichen die meisten Leute sogar ganz gerne die von mir aufgestellte Milchmädchenrechnung. Schlimmer noch: manche schmeißen ihre Garderobe sogar lieber direkt neben die klebrige Tanzfläche, um mir gar nicht erst begegnen zu müssen. So kam es also, dass ich, während all die hippen Kinder im Erdgeschoss feiern und brüllen und die beste Zeit ihres sowieso schon großartigen Lebens haben, mir im ersten Stock die Eier schaukel. Wer nun denkt, nach Feierabend ergäben sich zumindest noch Gelegenheiten, mit der – im Gegensatz zum Garderobenpersonal – gesellschaftlich wesentlich etablierteren Tresenbelegschaft die Tassen zu heben, irrt. Dank eines zotteligen Meerschweinchens, das bereits seit mehreren Wochen in meiner Wohnung die überzeugende Performance eines kurzbeinigen Hundes vollführt, bin ich auch nach Feierabend gezwungen, fluchtartig das Lokal und jene Kollegen, die einen Aufstieg in die Wochenendelite der Hansestadt bedeuten könnten, zu verlassen. Nach acht Stunden Einsamkeit verlangt das Tier, mit mir um die Häuser zu ziehen, irgendwo hinzuschiffen und die Schiffe derer, die ihm zuvorkamen, zu verköstigen oder sich darin zu suhlen. Bei einem dieser Ausflüge hat er sich irgendwas eingefangen, zumindest entdeckte ich seltsame Pusteln an seinen Hündchenkeulen. Tripper, Syphillis oder irgendwas anderes Rockstarmäßiges schlussfolgerte ich zunächst – bis ich mich sowohl an die Jungfräulichkeit als auch an die fehlende Geschlechtsreife meines Welpen erinnere. Underdog, der er ist, flirtet er nun mit seiner ersten Akne, während die coole Dogge aus dem Nachbarhaus sich wahrscheinlich gerade die fluffige Pudeldame klarmacht. Life is a dancefloor, hat mal irgendein DJ geneunmalklugt. Recht hat er, aber dazu gehören eben auch die pickligen Schwächlinge, die bloß am Rand stehen und zuschauen, wie andere rumschieben. Das sind übrigens auch dieselben, die dann ihre Garderobenmarke verlieren und im T-Shirt nach Hause gehen.
Da mich all meine wirren Tätigkeiten seit längerem nur noch erahnen lassen, was das Wort Biorhythmus bedeutet, bin ich selbst auch recht überrascht mich an einem Montagmorgen um acht Uhr ausgeschlafen in einem Linienbus wiederzufinden. Der Hund hat nach wie vor seine seltsame Hautflechte und ich komme nicht umhin, langsam recht angeekelt zu sein. Am Ende dieser halbstündigen Busfahrt wartet also eine Tierklinik, bei der sich der Hund Linderung seines Juckreizes und ich mir Linderung meines Ekels erhoffe. Die Tierärztin, die ich aufgrund ihres Haarschnitts (halblange, in der Mitte gescheitelte dunkle Haare mit rötlichen Highlights, die kurzen Haare im Nacken keck toupiert) sofort als Lesbe identifiziere, ist freundlich und inkompetent. Zumindest betreibt sie heiteres Krankheitsbilderraten, während ich in dem fehlenden Büstenhalter die Lesbenthese bestätigt sehe. Sie untersucht seine Lenden, verschreibt irgendeine Salbe und diagnostiziert „Pickelchen“. Toll, Sackakne, denke ich und frage mich, wie ich das möglichst imageschonend all den Menschen verklickern soll, die meinen Hund bis vor einigen Tagen noch zuckersüß fanden. Die soeben aufgetragene Salbe leckt er sich bereits auf der Rückfahrt wieder ab, um mir dann kurz vor unserer Haustür auf die Schuhe zu kotzen. Eine vorbeigehende junge Schanzenmutter (mit der einen Hand manövriert sie den Kinderwagen, dessen Inhalt vermutlich so einen wohlklingenden Namen wie Margarethe-Buttercup oder Jimmy Baptist trägt; in der anderen trägt sie einen Grande Chai Latte Low Fat Milk) lächelte mir verständnisvoll zu, als seien wir Komplizen. Vielleicht hat sie recht, denk ich mir. Auch ihr Jimmy Baptist wird mal eine astreine Akne sein Eigen nennen dürfen. Wenn er sich auch so postmodern verhält, wie es sein Name vermuten lässt, vielleicht sogar so eine ordentliche Sackakne wie mein Hund. Ich lächle also zurück und zerre den Hund nach drinnen. Dort überlasse ich ihn und seine Akne ihrem Schicksal. Das Schicksal heißt Flauschi und ist die blaue Decke, an der er sich nun reibt wie ein Spätzünder an seiner ersten Freundin. Er hat der Decke diesen blöden Namen gegeben, mir würde sowas gar nicht einfallen. Und jetzt? Wo bleibt die Pointe? Sag ich ja. Gibt keine.
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Mai 2018
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