Ich bin auf Pressereise gegangen - beinahe meine erste, wenn man die nach Antwerpen nicht mitzählt, die ich vor sieben Jahren selbst organisiert und ganz ohne Journalistenkollegen und das zugehörige Klassenfahrtsgefühl bestritten habe. رأس الخيمة, oder Ras Al Khaimah (oder Ra's al-Chaima oder Raʾs al-Ḫaima oder RAK oder oder oder...) heißt der Teil der Arabischen Halbinsel, der eines von sieben Vereinigten Arabischen Emiraten ist. Die Zeltspitze (so die deutsche Übersetzung des Landesnamens) ist nicht nur als letztes Emirat der Föderation beigetreten (1972), sondern auch aus vielen anderen Gründen besonders, wie ich bei meiner Recherche herausfinden konnte.
Ras Al Khaimah ist landschaftlich wesentlich abwechslungsreicher, als man es einem arabischen Emirat erstmal abkaufen würde. Es gibt die obligatorische Wüste im Süden, die hier allerdings etwas rötlicher ist als beispielsweise in Dubai. Im schroffen Hajar-Gebirge gibt es viele Tropfen auf heißen Steinen, was zu einer vergleichsweise üppigen Vegetation führt. Der Creek (= salzwasserführende Lagunen), an dem die gleichnamige Hauptstadt Ras Al Khaimah liegt, ist von Mangrovenwäldern umschlossen und das Emirat grenzt auf 64 Kilometern an den arabischen Golf, der das ganze Jahr über pipiwarm ist. Nach einem sechsstündigen Flug mit Emirates von Hamburg nach Dubai, komme ich frühmorgens im Sechs-Sterne-Hotel Waldorf Astoria an und bin zugegebenermaßen schon etwas perplex angesichts des bizarren Prunk und Pomp, der einen hier von allen Seiten erschlägt. Die King Junior Suite, die ich in den nächsten zwei Tagen bewohne, ist beispielsweise größer als jede Wohnung, in der ich jemals gewohnt habe und ich bereue es kurz, keinen größeren Koffer mitgenommen zu haben - einfach, um irgendetwas in meinen begehbaren Kleiderschrank hängen zu können. In den Fluren des Hotels rennt mir ständig mindestens einer der unzähligen Angestellten hinterher, um dann in Sichtweite zu fragen "Is everything okay, Sir?" Der kontaktscheue und kniggefremde Berliner sollte an dieser Stelle übrigens aufpassen, nicht mit "Dit jeht dir jar nischt an!" zu antworten. Die Frage ist durchweg freundlich und gar nicht creepy gemeint, deshalb ist "Yes, thank you!" als Antwort völlig ausreichend. Das Waldorf Astoria steht wie eine orientalische Kathedrale inmitten von anderen nicht minder prunkvollen Hotels, hat mehrere Pools und einen hauseigenen Privatstrand - was theoretisch geil wäre, wenn es draußen nicht Juni und damit tagsüber um die 45°C wäre. Baden geht also im Sommer nur morgens oder abends, oder, wenn man ein volles Programm hat und auf Pressereise ist, auch gar nicht. Ich komme später nochmal darauf zurück. Mit einem Dutzend anderer Journalist(inn)en, von denen etwa eine Hälfte für die touristische Fachpresse und die andere Hälfte für Tageszeitungen und Publikumspresse schreibt, steige ich mittags in unseren klimatisierten Shuttlebus, den ich in den nächsten 48 Stunden sehr zu schätzen lernen werde. Wir fahren erst ins The Cove Rotana, ein benachbartes 5-Sterne-Hotel, in dem wir fürstlich (also scheichlich) zu Mittag essen. Die Architektur von diesem Resort ist deutlich "emiratischer", d.h. man wohnt in weißen, quaderförmigen Villen, die an die griechische Insel Santorin erinnern. Fetzt ziemlich. Während zwei Teilnehmerinnen zur Action-Tour ins Gebirge aufbrechen, mache ich mit allen übrigen das Kulturprogramm. Die Mohammed Bin Salem Moschee ist zwar eine der ältesten der ganzen Emirate, hat aber keine Minarette, kein zweites Geschoss und besticht auch sonst durch ornamentlose Schlichtheit. An verrückten Mustern mangelt es trotzdem nicht, denn die Frauen der Reisegruppe bekommen je ein schlimm geblümtes Gewand übergeworfen. Dass die Mohammed Bin Salem Moschee von außen so unscheinbar ist, macht fast gar nichts, weil wir noch an der Sheikh Zayed Moschee und der Al Riffa Moschee vorbeifahren. Im Nationalmuseum von Ras Al Khaimah versäumt es unser Reiseführer, uns die eigentlichen Ausstellungsräume zu zeigen, sodass wir nur in dem Innenhof der Al Hisn Festung herumstehen. Die Schaufensterpuppen in landestypischer Tracht (Kandora = weißes, knöchellanges Gewand; Ghutra = weißes Kopftuch mit schwarzer kreisfürmiger Kordel) trösten auch nur schlecht darüber hinweg, dass wir auch den letzten funktionierenden Windturm des Emirats nicht gesehen haben. Bevor wir kurz darauf mit einem typisch arabischen Dhau zu einer Bootstour über den Creek von Ras Al Khaimah aufbrechen, legen wir glücklichweise eine kurze Pause in der Shishabar Slash Esslokal Slash Café Slash Irgendein-Ort-zum-Rumsitzen Al Saraya ein. Der Aufenthalt war nicht geplant, das Boot hatte Verspätung, die Bar ist auch an sich nicht besonders. Einfach eingerichtet, aber immerhin zu allen Seiten verglast, mit schönem Ausblick und von einem hübschen, angelegten Garten umgeben. Am Tisch hinter uns sitzen allerdings zwei offenbar emiratische Mädchen, die Shisha rauchen und mich daran erinnern, dass in Ras Al Khaimah eigentlich auch echte Menschen wohnen sollten. Von denen haben wir bisher nur keine gesehen. Auf den Straßen ist es verständlicherweise zu heiß, deshalb sieht man zwar viele klimatisierte Autos, aber keine Fußgänger. Aber auch aus unserem Bus heraus wirken diese recht wahllos hingewürfelten Häuserklötze kaum wie eine zusammenhängende Stadt, erst recht keine, die irgendwie nach europäischen Mustern aufgebaut wäre. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass sich die Stadt Ras Al Khaimah auf drei Landzungen um den Creek herum erstreckt, zu allen Seiten recht weitläufig besiedelt, aber nur wenige Hochhäuser. Unser Hotel, fast eine halbe Stunde südwestlich, liegt genau genommen gar nicht in Ras Al Khaimah, sondern in Al Hamra Village, bestenfalls ein Vorort der eigentlichen Stadt. Alle Menschen, die uns bisher begegnet sind, waren Expatriates, also Arbeitsmigranten, aus Indien, Pakistan, Südostasien oder den umliegenden arabischen Staaten. Das ist insofern nicht verwunderlich, als dass Nicht-Emiratis rund 80% der Bevölkerung ausmachen. Diese Leute sind erst hier, seit das Geschäft mit dem Öl in den Schwesteremiraten Dubai und Abu Dhabi boomt. Davor war Ras Al Khaimah ein unbedeutendes Fischerdorf an der Schwelle vom Arabischen Golf zum Golf von Oman. Stellt man sich die Arabische Halbinsel etwa als einen dicken Fuß vor, der an Asien hängt, wäre Ras Al Khaimah der Nagel des kleinen Zehs. "Spitze des Zeltes" ist natürlich auch ok, klingt ja eigentlich auch viel besser als "Kleiner Zehennagel an Asiens dickem Fuß". Jahrhundertelang verdienten sich die Leute in Ras Al Khaimah ihren Unterhalt durch Fischfang oder Perlentauchen, gewährten auch zeitweise Piraten Unterkunft, bis die Briten sich das nicht mehr gefallen ließen und den gesamten Küstenstreifen als "Vertragsküste" unter britisches Protektorat stellten. Mit der Piraterie war es dann bald vorbei, mit dem Perlentauchen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zuchtperlen aus Japan waren schlichtweg billiger. Der Boom durch das Öl kam in den 1970er Jahren und bescherte auch Ras Al Khaimah raschen Wohlstand, obwohl es hier gar keine Vorkommen gibt. Hotels wurden gebaut und vor der Küste wurde gerade das künstliche Al Marjan Island aufgeschüttet - um nun noch mehr Hotels darauf zu bauen. Die Dimensionen sind natürlich andere als in Dubai, aber auch Ras Al Khaimah ist chaotisch gewachsen. Und das sorgt dafür, dass man es schlecht kapiert, als Stadt, als Emirat und überhaupt als Konzept. Was zum Beispiel macht es mit einer Gesellschaft, wenn Beduinen, Fischer und Kamelzüchter schlagartig zu Reichtum gelangen? Wie muslimisch kann ein Land sein, in dem so viele Christen, Hindus und Buddhisten wohnen und arbeiten? Gelingt es den asiatischen Arbeitsmigranten hier, die Armut ihrer Heimat hinter sich zu lassen? Und wenn ja, zu welchem Preis? Was ist überhaupt "Geschichte" in einem Land, in dem die Zeitrechnung erst vor fünfzig Jahren anfing? Und überhaupt, was kommt nach dem Öl? Wir schauen uns vom Boot aus die kleine Skyline von Ras Al Khaimah an, was wirklich schön ist, und fahren schließlich zurück ins Hotel. Beim High Tea im Peacock Café wird uns neben Unmengen süßer Köstlichkeiten auch Hawaii Blue Tea serviert, der sage und schreibe 300 Dirham (75€) kostet - ein Oolong Tee, der nur an bestimmten Vulkanhängen auf Hawaii wächst und dessen ausgewählte Blätter von einarmigen Albino-Waisenkindern nur bei Vollmond gepflückt werden können, oder so, ich habe nicht so genau zugehört. Ein whatthefuck ist trotzdem angebracht, denn der Tee schmeckt, nunja, nach Tee. Mich und eine Kollegin von der FAZ lassen die Menschen und die Stadt allerdings nicht los, oder vielleicht eher die Abwesenheit von Menschen und die Unbegreiflichkeit der Stadt. Wir fragen bei unseren Gastgebern von FTI nach, ob wir nochmal in die Stadt fahren können, vielleicht zur Strandpromenade oder in eine Einkaufsstraße. Innerhalb von einer halben Stunde wird uns unser Extrawunsch erfüllt und während die anderen im benachbarten Hilton Al Hamra Beach & Golf Resort mit der Vertriebschefin von Hilton in den VAE zu Abend essen, verabschieden wir uns früher und suchen das Nachtleben. Oder das Leben in der Nacht. Unser freundlicher Fahrer bringt uns in die Kuwaiti Street, in der tatsächlich viele kleine, lokale Geschäfte Krimskrams am laufenden Kilometer verticken: Abendkleider, Teekannen, Schals, Tücher, Parfums, Ohrringe, Schokoriegel, Gebetsteppiche, Handyhüllen. Ich kaufe Seidenschals und Zigaretten, quatsche mit Ägyptern, Afghanen, Pakistanis und bekomme ein bisschen ein Gefühl dafür, wie der Orient tickt: tagsüber langsam, nachts schneller. Wir fahren weiter zur Al Quawasim Corniche, in die Shishabar Al Wahdawi und hängen dort stilecht mit einer Handvoll emiratischer Männer, einer Shisha, einer Portion Tabak mit Traubengeschmack und einem Breitbildfernseher auf der Terrasse ab. Unseren Fahrer haben wir nach Hause geschickt, zurück zum Hotel nehmen wir ein Taxi. Die große, spektakuläre Geschichte ist uns nicht begegnet, aber Ras Al Khaimah hat sich von seiner charmanten Seite gezeigt. Die Wüste lebt, nur eben etwas leiser. Die erste Nacht in meiner Prinzessinnensuite ist ein Träumchen. Sowieso bin ich ganz angetan von der Reise - wer will schon die tausendundzweite Nacht in Marrakesch oder Beirut nacherzählen, wenn Ras Al Khaimah doch so viel rätselhafter, weil schüchterner ist? Die Pressekonferenz am Vormittag kommt sehr pressekonferenzig daher - es gibt eine neue Ras Al Khaimah Broschüre und es gibt neue Direktflugverbindungen mit Sun Express, u.a. von Berlin-Tegel nach Ras Al Khaimah. Das ist praktisch, aber für sich noch keine Geschichte. Spannend ist allerdings Al Jazirah Al Hamra, eine Geisterstadt, die mittelfristig Teil des UNESCO Weltkulturerbes werden soll. Ich denke sofort an die Beelitzer Heilstätten, den Teufelsberg oder den verlassenen Spreepark - alles wunderbar ruinierte Orte, die wir Berliner so liebgewonnen haben und ich glaube, dass in Berliner Herzen noch Platz für einen weiteren abandoned place ist. Während auf der Pressekonferenz geredet wird, stelle ich mir vor, wie im 14. Jahrhundert aus roten Korallensteinen ein Dorf auf eine Insel gebaut wird. Dem Dorf ging es gut, denn die Bewohner fingen Fisch und tauchten nach Perlen. Dann versandet die Insel und liegt deshalb inzwischen nur einen Steinwurf von unserem Konferenzsaal entfernt. Der Al Za'abi Stamm streitet sich Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Scheich von Ras Al Khaimah, siedelt vollständig nach Abu Dhabi über und lässt die alte Heimat, die "rote Insel", lieber verfallen, als sie zu verkaufen. Nun verhandelt man über Fischrestaurants und Welterbetitel, aber solange es nicht so weit ist, bröckeln die gar nicht mehr roten Korallenhäuser fröhlich weiter. Über die Jahrzehnte siedeln sich erst spukende Tiergeister, böse Dschinns, dann randalierende Jugendliche und schließlich südasiatische Hausbesetzer in Al Jazirah Al Hamra an und machen es zum spannendsten, authentischen Trümmerdorf weit und breit. Gruselgeschichten und Einsturzgefahr inklusive. Und weil es hier an Wunderlampen wirklich nicht mangelt, richte ich einen weiteren Wunsch an den guten Geist von FTI - darf ich am Abend bitte, per favore, prettyplease durch die Geisterstadtruinen klettern? Nach der Pressekonferenz gehen wir auf Wüstentour - ich habe zum Frühstück extra Marmeladenbrote gegessen, um in die leeren Gläschen Wüstensand zu füllen. Im Banyan Tree Al Wadi gibt es lokale Cuisine und eine kleine Tour durch das Spa und das Naturreservat. In diesem Resort gibt es "kleine" (= 158m²) Villen in typisch arabischer Lehmquaderoptik und luxuriöse Neuinterpretationen von traditionellen Beduinenzelten, nur eben als Villa und mit Pool. Jedenfalls so gemütlich, dass ich dafür sogar in die Wüste ziehen würde. Zwar erinnere ich mich nicht mehr genau an die Zoobesuche meiner Kindheit, aber es wird ein Mittag voller erste Male: ich begegne hier meiner ersten echten Python, meinem ersten echten Falken, meinen ersten echten Oryxantilopenen und ein paar zu spät gekommenen Kamelen - die ersten echten waren bereits auf dem Weg von Dubai nach Ras Al Khaimah neben unserem Bus hergelatscht. Später sehe ich meine erste echte Wüste, sie ist rot, wunderschön und gar nicht so wüst, wie erwartet, denn überall wachsen Ghaf Bäume, über die uns unser Fahrer eine romantische Geschichte erzählt. Wenn ein Ghaf Baum mit seinen Wurzeln das Grundwasser berührt, können sich alle umliegenden Bäume unterirdisch mit ihm verbinden und so gemeinsam über diese eine Wurzel Wasser trinken. Das klingt etwas schmarotzig, aber die Ghaf Bäume sind genügsam: einmal Regen pro Jahr reicht ihnen, um nicht zu verdursten. Eventuell sollte ich das Gestrüpp als Balkonpflanze importieren. Mit halbem Reifendruck wagen wir uns schließlich in die echte Wüste, in der es auch den Ghafjungs zu unwirtlich ist. Unser ziemlich witziger Fahrer ignoriert sämtliche Zwischenrufe von der Rückbank, slidet mit uns an meterhohen Dünenkämmen entlang, um schließlich in irgendwelche Wüstentäler zu stürzen. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und habe damit ein vergleichsweise angenehmes Los gezogen. Der Rückbankbesetzung geht es nämlich kolossal scheiße, als wir in dem Beduinencamp ankommen. Auf Kamelreiten und Hennabemalung hat dann folglich auch keiner mehr Bock - außer ich. Ich finde Wüste einfach nur awe-some! Für mich ist diese Wüste wirklich der geilste Spielplatz, den ich als Kind nie hatte. Außerdem gibt es für wenige Dirham Alcopops und geschmacklose Souvenirs - zwei weitere tolle Dinge, an denen es meiner Kindheit mangelte. Nachdem die Zeltspitze heute ordentlich rockt, fahre ich mit der Kollegin von der FAZ in die Geisterstadt Al Jazirah Al Hamra, während sich alle anderen im Hotel erholen. Die verpasste Gelegenheit zum Nickerchen ist es allemal wert, denn Al Jazirah Al Hamra ist nicht nur unfassbar riesig, sondern auch herrlich verwüstet und - bewohnt! Einige Pakistanis und Inder laufen über die unasphaltierten Wege und beäugen uns kritisch, weil sie vermuten, dass wir sie kritisch beäugen - was nicht der Fall ist, aber einen unverfänglichen Chitchat erheblich erschwert. Mir gelingt es trotzdem, mich mit einem jungen Pakistani zu unterhalten, der in einer benachbarten Kartonagenfabrik Kosmetikartikel verpackt. Nach einer fünfminütigen Unterhaltung, zeigt er mir schließlich, wo er wohnt. Aus einer der Ruinen, die noch etwas besser in Schuss ist, höre ich fließendes Wasser. Die indischen und pakistanischen Arbeiter haben mithilfe von stinknormalen Gartenschläuchen Wasser verlegt und können so eines der Häuser als Badehaus nutzen. In dem direkt benachbarten Haus wohnt mein Gesprächspartner. Mit zwei Matratzen, ein paar Kartons voller Kleidung und einem kleinen Tisch ist der etwa 12m² große Raum bereits gut gefüllt. An einer Wand hängt ein Foto oder ein Brief, elektrisches Licht gibt es keins. Zwar bröckelt der Putz überall und der Boden ist eigentlich keiner, aber ich kann verstehen, dass der junge Mann es hier "eigentlich ganz schön" findet. Es ist eigentlich ganz schön, vielleicht auch weil gerade die Sonne untergeht und das Licht warm und vorteilhaft auf das Geisterdorf fällt. Über die Gruselgeschichten spreche ich mit einer Gruppe Indern, die gerade einen kleinen Lastwagen waschen. "Only the Emirati people believe in ghosts", erzählen sie mir in gebrochenem Englisch. Den Aberglauben kann sich von ihnen wohl keiner leisten. Unser kurzer Ausflug nach Al Jazirah Al Hamra ist mehr als surreal, wie ein morbides Märchen. Die Fischrestaurants und sanierten Museumshäuser, von denen heute vormittag die Rede war, kann ich mir hier nicht vorstellen. Und solange die Regierung des Emirats mit den Al Za'abi über den Verkauf der Häuser verhandelt, wird hier wohl auch erstmal nichts passieren. Wir verlassen Al Jazirah Al Hamra wieder in Richtung Hotel und schauen noch für eine halbe Stunde in die Al Hamra Mall, weil das Prinzip Einkaufszentrum hier wohl nur schwer meinen Vorurteilen aus Deutschland standhalten kann. Mangels Diskotheken und Bars sind Malls hier tatsächlich der Treffpunkt für junge Leute, das hatte ich mir schon am Abend vorher so erzählen lassen. Sünde also, nicht wenigstens kurz selbst durch eine Mall zu laufen. In Rekordzeit shoppe ich dort ein T-Shirt, einen Mini-Wandgebetsteppich, drei Postkarten, eine goldene Blechschale und einen Seidenschal als Mitbringsel für die Freunde daheim, verliere meine Mall-Begleitung und sammle sie auf dem Weg zum Hotel mit dem Taxi wieder ein. Am Abend essen wir ein letztes Mal hochherrschaftlich im Marjan Restaurant des Waldorf Astoria, bevor es am nächsten Morgen zurück nach Deutschland geht. Bei mir ist in den letzten 48 Stunden wohlige Klassenfahrtsnostalgie aufgekommen. Das Konzept Pressereise ist bei allem Recherchestress doch ein ziemlich witziges. Ras Al Khaimah ist ambivalent, wie die ganze Region. Teilweise ultra traditionell, verschlafen und öde, andererseits hochmodern, high-end gestriegelt und mit diesem diffusen Gefühl, dass hier in Zukunft viel passieren wird. Mitten in der Nacht gehe ich noch verbotenerweise und unbeaufsichtigt an den Strand vorm Waldorf Astoria und habe es so schlussendlich doch noch geschafft, im Meer zu schwimmen. Es ist beinahe magisch, denn ich habe den klaren Sternenhimmel, den dunklen Strand und den Arabischen Golf komplett für mich allein. Weit und breit ist niemand da, vom neu aufgeschütteten Al Marjan Island leuchten einige Lichter herüber und während ich mit langsamen Zügen von der Küste wegschwimme, verstehe ich, warum 'Nacht' und 'Orient' so unglaublich gut zusammen passen.
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Für die, die es wirklich interessiert: es regnet in Strömen in Osaka. Am Wochenende soll es sogar einen Taifun geben, zumindest sagen das die drei Japaner, die wir gestern in einer Bar kennengelernt haben.
Lilith und mir ist das Wetter aber gerade noch ziemlich jacke, denn wir sind noch ausreichend damit beschäftigt hier alles verdammt großartig zu finden. Vor inzwischen 36 Stunden sind wir in Hamburg in unseren Emirates Flieger gestiegen und ich habe mir, um ehrlich zu sein, etwas Sorgen gemacht. Mir ist auf der einen Seite mulmig, wegen der traurigen Nachrichten über Flugzeugabstürze, die uns in den letzten Wochen erreicht haben. Zum anderen habe ich mir koscheres Essen gebucht (eigentlich nur, weil gehofft hatte, dass Extrawürste schneller serviert würden und besser schmeckten) und vor 4 Monaten nicht darüber nachgedacht, dass koschere und halale Fresspakete zurzeit auch fast ein politisches Statement sind. Ziemlich cool war allerdings, dass das koschere Essen echt 50 mal versiegelt wurde, nachdem es die segnenden Hände irgendeines Londoner Rabbis verlassen hat und erst unter meinen fake-koscheren Augen wieder von den netten Stewardessen wieder geöffnet wurde. Nach knapp 7 Stunden Flug (und unter Umfliegung der Lufträume der Ukraine und des Irak) kamen wir in Dubai an und ich mir dort für 40 Arabische Dirham pro Stange Zigaretten (= 16 Euro) einen gesamten Monatsvorrat an Glimmstengeln zugelegt. Unser Flug nach Osaka hatte Verspätung, aus operational reasons, was auch immer das bedeuten mag. Um 18 Uhr japanischer Zeit kamen Lilith und ich dann schließlich leicht zerknüllt und gereizt am Kansai International Airport an. Unsere erste Amtshandlung bestand darin, uns ohne nennenswerte Englischkenntnisse auf der einen und ohne nennenswerte Japanischkenntnisse auf unserer Seite den Weg zu unserer ersten Couchsurferin erklären zu lassen. Das hat nur so ungefähr eine Stunde in Anspruch genommen, was man als Erfolg werten kann. Dann mussten wir das beste (= günstigste) Ticket für Osakas Öffentlichen Nahverkehr ausfindig machen, was dank einer sehr netten japanischen Lady, die ausgezeichnet Englisch sprach, innerhalb weniger Minuten erledigt war. Wir haben uns für die ICOCA-Karte entschieden, die wie eine Prepaidkarte funktioniert und erstmalig ¥ 2000 (= 14,30€) kostete. Man lädt Guthaben darauf, welches jeweils von der Karte abgebucht wird, sobald man sich nach einer Fahrt durch die elektronische Absperrung am U-Bahn-Ausgang bewegt. Vorteil: man muss vorher einfach nicht mehr darüber nachdenken, mit welcher Linie man jetzt wo hinfährt und ob man nicht vielleicht in die Linie eines anderen Anbieters umsteigen möchte. In der U-Bahn fiel mir zuallererst auf, dass mir im Grunde gar nichts auffiel. Die Osakaner waren nicht irgendwie bunt und zuckersüß und hellokittyesk gekleidet, wie ich es vielleicht befürchtet hatte. Eigentlich sahen sie aus wie U-Bahn-Gäste in Berlin eben auch aussehen. Schließlich kamen wir um 21 Uhr bei Yuko an, die eine kleine Bar betreibt, die sich River and Castle side space nennt und einen wunderschönen, wenn auch verregnet Blick auf genau ebendiese Sehenswürdigkeiten bietet: das Osaka Castle, einen Seitenarm des Flusses Yodo und die imposante Wolkenkratzer-Skyline am anderen Ufer. Jetzt ist es offiziell: wir sind in Japan. Das Konzept von Yukos Bar ist denkbar einfach: allabendlich kommen eine Hand voll japanische Freunde von Yuko vorbei, dann noch die westlichen Touristen, die gerade in den Futonbetten im Zimmer nebenan schlafen (= wir) und die lernen sich dann bei Asahi Bier und Sake kennen. Die Preise sind moderat, wie generell bisher eigentlich alles recht bezahlbar war in Osaka. Dass es trotzdem die zweitteuerste Stadt der Welt nach Tokio sein soll, kann ich also gerade irgendwie nicht bestätigen. Die ersten Biere in Japan tranken wir jedenfalls in freundlicher Gesellschaft von unserer Gastgeberin Yuko, einem Yoichi, der erschreckend gut „Schön, dich kennenzulernen!“ auf deutsch sagen konnte, einer jungen Frau namens Saki, die völlig hin und weg von Lilith und ihrer Ukulele war, einer Wakana, die uns Tako-Yaki (mit Tintenfisch und Frühlingszwiebeln gefüllte Teigbällchen, erinnerten mich lustigerweise an die schleswig-holsteinische Förtchen meiner Tante) zubereitete und einem weiteren jungen Mann, der einen langen unaussprechlichen Namen hatte, aber uns irgendwann erlaubte, ihn einfach Yoshi zu nennen. Weil es in dem River and Castle side space keine Dusche gibt, sind Lilith und ich noch um Mitternacht aufgebrochen, um in der Nachbarschaft einen von Yuko beschriebenes Sentō, ein öffentliches Bad, ausfindig zu machen. Für ¥ 440 (= 3,20€) konnten wir dort nicht nur duschen, sondern auch in pipiwarmen Becken rumsitzen und ins Dampfbad gehen. Das Ganze fand nach Geschlechtern getrennt und splitterfasernackt statt, was ich erst etwas seltsam und dann aber ziemlich witzig fand. Bedenken hatte ich auch wegen meiner Tättowierungen, die man in Japan der Yakuza zuschreibt, der japanischen Mafia. An meinen niedlichen Quallen und Libellen störte sich dann aber glücklicherweise niemand. Auf dem Rückweg vom öffentlichen Bad gingen wir noch in ein benachbartes japanisches Bistro, in dem wir uns mangels Lonely Planet und sonstige Sprachführer gezwungenermaßen verhielten wie die lausigsten Touristen. Ich zeigte auf die Karte und bestellte völlig random 5 kleine Fisch-Gerichte (jeweils ¥ 190 = 1,35€), was unseren Nachbartisch ziemlich belustigte. Wir kamen irgendwie ins Gespräch, was insofern ziemlich außergewöhnlich war, weil von den drei Jungs Tomo, Toshi und Joshi nur Toshi wirklich englisch sprechen konnte, weil er mal drei Monate in den USA gelebt hat. Trotzdem brach unser Gespräch erst zwei Stunden und einige Bier später ab, als Lilith und ich vor Müdigkeit wirklich kaum noch aufrecht stehen konnten. Tomo hatte unsere komplette Rechnung beglichen, verwies auf die japanische Gastfreundschaft und wir versprachen unter zigfachem arigatō gozaimasu! (= Vielen Dank!) sie morgen im Miki zu besuchen. Immer wieder musste ich angesichts solch eines warmen Empfangs daran denken, wie ätzend Touristen in Berlin häufig behandelt werden und schämte mich stellvertretend. Was wir gelernt haben: ēgo ga hanase masu ka (= Sprechen Sie Englisch?), wie man Tako-Yaki zubereitet Was wir hätten brauchen können: eine idiotensichere Ausschilderung des öffentlichen Bades Wen ich grüße: Meine Mama, weil ich ihr versprochen habe mich per Blogeintrag bei ihr zu melden, wenn ich gut angekommen bin. Das ist hiermit geschehen. Song des Tages: Spending all my time von Perfume |
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Mai 2018
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