...Familie doch super ist. Ich hab' da so zwei Tanten. Die habe ich noch nicht lange. „Familie kann man sich nicht aussuchen“ hat mein Vater mal als Grund genannt für den Streit, der bis heute anhält. Und damit hat er recht. Meinen peinlichen Onkel zum Beispiel, der immer noch einen schlechten Scherz auf Lager hat. Die strebsame Cousine, die in allem besser ist als man selbst. Und nicht zuletzt die jüngeren Geschwister, die ja per se die uncoolsten im ganzen Universum sind. Dass mein Vater sich mit den seinigen also verstritten hat, ist demnach nur zu gut nachvollziehbar.
Während ich also heran wuchs und mir auf jedem erdenklichen Familienfest den Katzentisch mit Onkel Quatschmichvoll und Cousinchen Einsplusmitsternchen teilte, feierten die Schwestern meines Vaters eigene Feste und gründeten eigene Familien. Bessere Familien, vielleicht. Mit besseren Festen. Die Messlatte liegt ja, wie gesagt, nicht hoch. Familie kann man sich nicht aussuchen. Ebensowenig habe ich mir ausgesucht, diese zwei Tanten und ihre Familien nie kennenzulernen. Vor kurzem bin ich also losgezogen, habe die beiden gesucht und jetzt hab' ich da so zwei Tanten. Die zwei Tanten haben tatsächlich Familien gegründet, ich hab' jetzt auch zwei Cousinen und zwei Cousins. Und die zwei Tanten feiern Feste, zu denen ich jetzt auch eingeladen bin. Bin ja jetzt schließlich Familie. Familie kann man sich nicht aussuchen. Das ist blöd, da hat mein Vater recht. Dass sich die Familie auch mich nicht aussuchen konnte, das ist gut. Meine Tanten ahnen nicht, dass ich früher bei Museumsbesuchen unerträglich gequengelt und geschrien habe, wenn wir heute durch eine Ausstellung schlendern. Meine Cousinen und Cousins wissen nicht, dass ich ständig geschwänzt und etliche Klausuren erst im zweiten Anlauf bestanden habe, während sie die Resultate meiner Studienlaufbahn bewundern. Rückblickend bin ich plötzlich ein ruhiges, wissbegieriges Kind und ein umgänglicher, gewissenhafter Pubertierender gewesen. Stimmt ja auch. Ungefähr. Im Resultat sitze ich nun schließlich mit meinen Tanten in einer Bar in Kreuzberg und bin ein Neffe, an dem man nicht viel aussetzen kann. Wir rauchen zu dritt vier Schachteln Zigaretten weg, trinken die gesamte Spirituosenkarte rauf und runter und erzählen uns Dinge, die ich sonst nur an gute Freunde ausplaudern würde. Derselbe rauchende, trinkende und promiskuitive Fünfzehnjährige hätte bestimmt weniger Anklang gefunden. Im Gegenzug bewundere ich sie für die sympathischen und intelligenten Cousinen und Cousins, die ich ihnen zu verdanken habe. Von Neid auf deren Einsplusmitsternchens keine Spur. Ich find' sie großartig, diese zwei tollen Tanten, die im übrigen auch immer einen Scherz auf Lager haben, und ich feiere gerne Feste mit ihnen. Das macht man ja schließlich mit der Familie. Das Schlechte an Familie ist, dass man sie sich nicht aussuchen kann. Das Gute an Familie ist, dass sie sich mich nicht aussuchen kann. Man kann sich ebensowenig die einem zugedachte Rolle aussuchen, denn das ist Familie doch eigentlich: ein Laientheaterstück, dessen schärfster Kritiker man selbst ist. Aber man kann sich aussuchen, ob man sich einfach mal vor ihre Haustür stellt, klingelt und Hallo sagt, denn man gehört ohne Fragen und Klagen dazu. Und darum ist Familie doch super.
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MOL, das heißt Märkisch-Oderland. Ich überlege kurz, ob es wirklich keine Abkürzung für Moldawien ist, als wir in Silkes neuem Auto durch so seltsame Ortschaften wie Letschin, Sietzing oder Ihlow fahren. Vorläufiger Höhepunkt ist Horst. Wir sind in Horst. Anhalten, Foto vom Ortsschild machen. Horst und all seinen märkisch-oderländischen Geschwistern ist gemein, dass man hier wunderbar traurig-bunte Lana del Rey-Musikvideos drehen könnte. Dorfkulissen, die ihre besten Jahre hinter sich haben, aber im richtigen Licht doch irgendwie vintage aussehen. Wunderbar verrottete Hütten, planwirtschaftlich verputzt, zerbrochene Fensterscheiben. Breite Alleen in Herbstfarben, frischgepflastert, unbefahren. Auf dem malerischen Waldweg hinter Horst würde selbst Lana noch ein verzerrtes Lächeln über die Lippen bringen, wobei Waldweg in diesem Fall ein Euphemismus für Traktorreifenrinne mit Baumbewuchs ist. Tapfer fahren wir weiter, über Stock und Stein, abenteuerlich wie im Kinderreim. Kein Platz für summertime sadness hier im wilden Osten.
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Mai 2018
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