Schon bei dem Gedanken an Kirche fühlen sich die meisten Leute an krude Heiligabende erinnert, in denen fingerkuppengroße Popel noch die interessantesten Protagonisten einer stundenlangen Litanei formten. Ja, Kirche blöd zu finden ist so leicht. Kommt der Papst, backen wir Protestplätzchen. Und dass der Vatikan die letzte absolutistische Monarchie Europas ist, ist ein Fakt, den man bei jeder WG-Küchen-Diskussion unter Kopfschütteln aller Beteiligten loswerden kann. Missbrauchsskandale, Sexualmoral – das Christentum, vor allem die katholische Kirche, ist das Feindbild aufgeklärter Großstädter.
Es ist Sonntagmorgen, ungefähr neun Uhr, als ich über den Vorplatz der Petrikirche laufe, noch die Musik aus dem Klub im Ohr. Ich finde Kirche auch blöd, glaube ich. Eigentlich war ich noch gar nicht so oft da. Aber Kirche findet mich blöd, das liegt auf der Hand. Und wer mich blöd findet, den find ich blöd und die hat schließlich angefangen. Amen. Weil ich komplett übernächtigt bin und kleine Endorphine durch meine Blutbahnen marschieren wie unermüdliche nordkoreanische Arbeiter, kommt mir plözlich die Idee, so ein Gottesdienst sei bestimmt ein witziges Aftershow-Happening. Ich gehe noch kurz nach Hause, um mich umzuziehen, will schließlich nicht underdressed dort auftauchen. Keine Stunde später sitze ich auf einer Holzbank in der Petrikirche, vor mir ein Gesangbuch, hinter mir eine Gruppe Konfirmanden. Der Organist beginnt zu spielen, die Mucke hallt durch die Kirche. Halleluja! Die Bänke sind voll besetzt – war zu erwarten, Eintritt frei, Open Bar. Zugegeben, bisher kannte ich Kirche fast nur aus Erzählungen. Kein Wunder also, dass ich leicht überfordert war mit der traditionellen Choreographie: beim Gebet sitzen, beim Singen stehen, bei der Predigt wieder sitzen, wenn einer Amen sagt, auch Amen sagen. Ist für einen Sonntagmorgen vielleicht auch etwas viel verlangt. Der Pastor redet von Dämonen und Exorzismus. Dass es sein allwöchentliches exorizistisches Ritual ist, sieben Kilometer um die Alster zu joggen. Offensichtlich hat er dabei Bob Dylan auf seinem MP3-Player, denn der wird während der Predigt häufiger zitiert. Richtig Stimmung kommt allerdings nicht auf: die Sängerqualitäten des Pastors lassen stark zu wünschen übrig und die Weißgelockte neben mir knackt fast weg, ich ringe auch mit meiner Müdigkeit. Als ich gerade denke „Naja, man soll gehen, wenn's am Besten...“ weckt mich der Pastor unsanft: „Auch hier im Raum sind Dämonen!“ Ok. Er hat mich. Schweißperlen auf meiner ungetauften Stirn. Gleich werden sie sich alle umdrehen, mit den Fingern auf mich zeigen, im Chor „Ungläubiger!“ schreien und mich dann über die Mönckebergstraße jagen. Auch die Oma neben mir ist wieder hellwach. Angespannte Stille. „Gier, Macht und Krieg. Das sind die Dämonen unserer Zeit.“, konkludiert der Pastor. In den Gesichtern der Gemeindemitglieder lässt sich die Tragödie förmlich lesen. Ich schaue mich um, kann die Dämonen nirgends ausmachen und bin froh, vorerst nicht in seiner Aufzählung vorgekommen zu sein. Charmant leitet er über zum Abendmahl, (bei Heiden heißt das 'Frühschoppen') die durstige Gemeinde versammelt sich vor dem Weinkelch. Schon etwas frech, den Ausschank so lange hinauszuzögern. Zu allem Uebel verlässt der Gastgeber direkt danach die Party. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die Mitglieder der Kirchegemeinde, einige etwas beschwipst, kamen grad erst richtig auf Touren. Jetzt sehe ich den Gierdämon auch. Der Kelch ist leer und macht auch keine Anstalten sich nochmal nachfüllen zu lassen. Ich gehe raus, hab jetzt auch genug. Der Organist spielt noch einen letzten Song und dann wird’s still.
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Mai 2018
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