Lilith spielt im Yukata ein Ukulelenkonzert für Yuko, unsere Gastgeberin in Osaka Den versprochenen Taifun haben Lilith und ich überlebt, besser noch: verschlafen. Die ganze Nacht von Sonnabend auf Sonntag waren alle Menschen in Osaka in ängstlicher Erwartung auf den Taifun, der dann im Endeffekt erst am Sonntagmorgen in Osaka ankamen. Lilith und ich haben die Nacht unterdessen mit den Jungs aus der Miki-Bar durchgemacht, zusätzlich zu Joshi, Tomo und Toshio war diesmal auch Keiko, eine Japanerin mit einer ausgeprägten Affinität für kawaiie (= niedliche) Frösche und Koji dabei, der den Spitznamen The Beast trug. Wir sollten später erahnen können, warum. Nachdem wir in der Miki-Bar wieder ausgiebig gegessen und getrunken haben und mal wieder nicht bezahlen durften, beschlossen wir trotz Taifunwarnung nach Umeda zu fahren und dort feiern zu gehen. „Tanzen, trinken, rauchen“ - ungefähr so hatte ich umschrieben, was ich mir von der Nacht erwartete. Die Gruppe Japaner brachte uns daraufhin in den Gold Platinum Club Osaka, einer high class Diskothek mit gesalzenen Preisen, die sich in dem obersten Geschoss einer Shopping-Mall befand. Es wurde beinahe ausschließlich US-amerikanische Popmusik gespielt und auch die Diskothek selbst war das wahr gewordene Klischee eines exquisiten Klubs in irgendeiner westlichen Großstadt. Es war mehr als seltsam, zumal unsere japanischen Bekannten sich bis zu diesem Zeitpunkt geweigert hatten und auch im restlichen Verlauf des Abends weigern würden, uns auch nur mit einem Yen an den exorbitanten Kosten zu beteiligen. Ich, der deutsche Buddelpartys und geteilte Rechnungen gewöhnt ist, bekam ein schlechtes Gewissen. Am bizarrsten war es allerdings, dass der Gold Platinum Club außer uns von gerade mal 5 weiteren Personen besucht wurde und nochmal ebenso viele Kellner durch den schwarzen Klub schlichen. Irgendwie schafften wir es dann aber doch, Spaß zu haben, hauptsächlich auch, weil The Beast auf der Tanzfläche eine beeindruckende Breakdance-Performance aufführte. We just went wild, so gut es eben ging zumindest. Schließlich schloss der Klub und wir zogen weiter in die minimikrokleine Schwulenbar L'ecca, die unsere japanischen Bekannten für uns ausfindig machten, nachdem ich ihnen erzählt hatte, dass ich schwul sei. Ich bin mir auch nicht so ganz sicher, ob das positiv oder negativ aufgenommen wurde, die Stimmung schwankte zwischen belustigt und überrascht. Das L'ecca kam dann einer Berliner Partynacht am nächsten, wenn auch nicht unbedingt wegen westlicher Einrichtung oder Musik. Es gab eine Karaoke-Maschine, von der Lilith gekonnt gebraucht machte und großen Applaus erntete und auch ich sang mit einem älteren Japaner My heart will go on von Celine Dion. Man kann sich wohl ungefähr vorstellen, wie bezaubernd das war. Dass wir zu komplett allen Getränken, Taxifahrten und Eintritten eingeladen wurden, änderte sich übrigens nicht. Nur im Gold Platinum Club schafften wir es zwischendurch mal eine Runde Sake zu bestellen, die aber als mit Wasser verdünnter Whiskey missverstanden wurde. In den darauffolgenden Tagen machten Lilith und ich unsere ersten Tagesausflüge. Inzwischen bewegen wir uns schon etwas sicherer durch Japan, die gängigsten Floskeln haben wir schon drauf (Wakarimasen = Das verstehe ich nicht. Doitsu-jin desu = Ich komme aus Deutschland. Sugoi! = Großartig! Kampai! = Zum Wohl!) und auch der in Japan herrschende Linksverkehr findet von Tag zu Tag mehr Verständnis in meinen Gehirnsynapsen. Das ständige Schuhe an- und ausziehen ist eigentlich nur mit Flip-Flops oder Ballerinas zu meistern, Schnürschuhe treiben einen da wirklich zur Weißglut. Und auch von den vielen Verbeugungen werde ich sicherlich nach 5 Wochen einen Rückenschaden davon tragen. Viele japanische Gewohnheiten gefallen mir aber auch außerordentlich gut. Zum Beispiel die Höflichkeit, das ständige Aufeinander-Rücksichtnehmen. Das liegt mir nun zwar eigentlich eher nicht so im Blut, aber es hat doch sehr etwas für sich, dass alle immer so unheimlich nett zueinander sind. Ich werde mir Mühe geben, mir das etwas für Berlin zu merken. Ich hatte die Nacht davor im Frenzy Frenz durchgemacht, einer Schwulenbar in Umeda, die von einem sehr freundlichen Exil-Australier betrieben wird und von Ausländern und ausländerfreundlichen Japanern besucht wird. Das Frenzy Frenz war insofern ein guter Anlaufpunkt, als dass es dort schnelles W-LAN gibt. Außerdem liegen an der Theke Aufladekabel für alle möglichen Handys herum. So unkompliziert gibt es das sonst nur in und vor den Combinis (convenient store = Späti) der Stadt. Am Tag darauf ging unser erster Tagesausflug ging bei sengender Hitze nach Nara. Trotz meines Katers war es dort sehr schön, auch wenn ich mir die alte Kaiserstadt irgendwie kleiner und pittoresker vorgestellt hatte. Trotzdem: die vielen Tempel, Pagoden und vor allem der unglaublich große Daibutsu (= Buddhastatue) im Tōdai-ji-Tempel haben uns nicht enttäuscht. Unerwartete Highlights in Nara waren der unglaublich schöne Isui-en-Garten mit seinem traditionellen Teehaus und das Café Shalom, das von einer ganz bezaubernden älteren Japanerin mit ausgeprägtem England-Fimmel betrieben wird. Die Inneneinrichtung ist etwa im Stil englischer Landhäuser, die Speisekarte ist japanisierte italienische Küche und die Preise sind im Vergleich zu den Touristenrestaurants von Nara unschlagbar günstig. Wie genau das hebräische Wort Shalom zum Namensgeber wurde, konnten wir allerdings nicht herausfinden. Den Dienstag haben Lilith und ich in Kobe verbracht und uns zuerst mal ordentlich gefetzt, um uns dann aber auch direkt wieder zu vertragen. Dass das passiert, war zwar zu erwarten, wenn man rund um die Uhr aufeinander hockt, aber schließlich haben wir doch innerhalb einer halben Stunde alle Meinungsverschiedenheiten aus der Welt geräumt. Der Streit fand in den verwinkelten Straßen von Kitano statt, wo unter anderem ein Dänemarkhaus, ein Österreichhaus und ein Hollandhaus rumstehen, ein Deutschlandhaus konnten wir allerdings nicht finden. Das Viertel ist so eine Art Eurotown und auch in den Souvenirläden wird europäisch anmutender Kitsch verkauft. Als Europäer ist das auf der einen Seite zwar irgendwie unspannend („Oh schau, ein Backsteinhaus mit einem Wetterhahn auf dem Dach!“), auf der anderen Seite ist es schon witzig zu sehen, woraus japanische Europaklischees dann im Detail bestehen. Die Einrichtung im Hollandhaus zum Beispiel war vom Stil her eher dem 17. Jahrhundert entlehnt und auch das ausladende Spitzenbrautkleid auf dem Bett oder die bis zum Rand mit europäischen Geldscheinen gefüllte Schatzkiste habe ich so noch in keinem modernen holländischen Haushalt gesehen. Von Kitano aus sind wir nach Osten gelaufen in Richtung eines großen Geländes, an dem mehrere Sake-Brauereien stehen. Unser eigentlicher Beweggrund war, dass im Lonely Planet stand, dass der Eintritt zu dem Sake-Museum, das sich ebenfalls irgendwo dort befinden soll, umsonst ist und dass man bei Bedarf auch noch Sake verköstigen darf. Mit der Hilfe von einigen Wachleuten, die auf dem Gelände rumstanden, als hätte man sie nur für uns dahin gestellt, fanden wir den Weg dann auch und mussten uns ein 10-minütiges Video über die Herstellung von Sake reinziehen, bevor wir endlich an die Free Shots kamen. Gegen frühen Abend sind wir zu Kobes Partystrand nach Suma gefahren, wo japanische Jugendliche gerade ihre Sommerferien mit Bier begossen. Man kann sich das Ganze vorstellen als eine Mischung aus US-amerikanischem Summer Break, Ibiza und Full Moon Party in Thailand vorstellen. Ziemlich schnell wurden wir von Neil, einem älteren Australier, entdeckt und an einen Tisch in einer Strandbar eingeladen, in der neben zwei japanischen Mädchen und Mamad, einem Iraner, auch eine Handvoll japanische Feuerwehrmänner saßen, die genauso gut auch Schauspieler bei Baywatch hätten sein können. Obwohl es eigentlich unser Plan war, zeitig nach Osaka zurückzufahren, haben wir uns auf ein Asahi nach dem anderen einladen lassen und sind schließlich, als sich der Strand leerte, mit Shoichi und Ryunosuke nach Sannomiya (sozusagen Downtown Osaka) weitergezogen. Dort wiederholte sich gewissermaßen der vorherige Abend. Trotz Sprachbarriere saßen wir stundenlang miteinander in einem Separée in dem hinteren Teil eines japanischen Restaurants herum, die beiden Jungs bestellten massenhaft geiles Essen, wovon mir besonders die Bergkartoffeln wegen ihrer komischen Konsistenz und die Leberspieße in Erinnerung geblieben sind. Dass ich kein gorufurendu (= girlfriend) habe und auch generell boifurendus besser finde, sorgte auch an dem Abend für ziemlich merkwürdige Reaktionen: sie fragten einfach so häufig, ob ich ernsthaft schwul sei, bis sie beschlossen, es zu ignorieren. Am Ende kratzten die beiden Jungs, die selbst nicht älter waren als wir, ihre letzten Kröten zusammen und ließen uns partout nichts zu der Rechnung beisteuern. „Japanese style!“ war ihr magischer Imperativ, mit dem sie jeden Yen von uns ausschlugen, und was genau German style sei, wollte sowieso auch keiner wissen. Ryunosuke ging dann plötzlich ohne sich zu verabschieden, was etwas seltsam war und auch so gar nicht der feine englische style. Sho wiederum ließen wir betrunken wie tausend Russen am Bahnhof Sannomiya zurück, weil wir unseren letzten Zug nach Osaka bekommen mussten. Was wir gelernt haben: Karaoke singt man entweder mit Inbrunst oder gar nicht Was wir hätten brauchen können: Entweder mehr Durchsetzungskraft beim Bezahlen der Rechnungen oder mehr Gelassenheit beim Eingeladenwerden Wen ich grüße: Meine beiden Großmütter. Weil in Japan gerade Obon ist, das Laternenfest, zu dem alle Japaner in ihre Heimatdörfer fahren (was ich gerade nicht tun kann) und ihren Vorfahren gedenken. Das tue ich hiermit. Song des Tages: Dancing Queen von ABBA (war der absolute Renner in der Karaoke-Gaybar) Der Partystrand von Suma in Kobe
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