Die bezaubernde Su-chan hängt mit uns in einer völlig überteuerten Bar in Kobe rum und singt Karaoke Diese Zeilen schreibe ich gerade aus dem wohl teuersten Hotel der Stadt Nagoya und ich weiß, um ehrlich zu sein, auch nicht so richtig, wie ich hier gelandet bin. Zuerst war ich eigentlich nur spätabends auf der Suche nach einem W-LAN (auch irgendwie das Thema dieses Urlaubs) und einer Steckdose, um mein Handy aufzuladen. Ich habe mich dafür in die Hotellobby des Nagoya Tokyu Hotels gesetzt, das von außen gar nicht so unglaublich protzig aussah, wie es von innen dann schließlich war. Ich habe an der Rezeption behauptet, auf eine Freundin zu warten, mir einen Internetzugang geben lassen und mich in eine Sitzecke gesetzt. Nach etwa zwanzig Minuten kam ein älterer, japanischer Mann auf mich zu und ich dachte mir, ok, scheiße. Jetzt ist mein Parasitentum aufgeflogen und ich werde zwar höflich-japanisch, aber hochkant auf die Straße gesetzt. Der Mann fragte aber einfach nur woher ich komme (Doitsujin desu!) und ob ich beruflich in Nagoya sei. Ich sagte ja, auch wenn ich abgesehen von dem weißen Hemd, das ich trug (Gott sei Dank!), wirklich nicht nach big business aussah. (Adidas-Turnschuhe, kurze Hose, schwarzer Turnbeutel, vermutlich sehr verschwitzt.) Er lud mich in die Bar im zweiten Stock ein, die Fontana di Trevi heißt und echt an Prunk und Prahl kaum zu toppen ist. Alles ist hier entweder golden, weil blingbling oder in angenehmen Nikotinfarbtönen, vermutlich damit später nicht so auffällt, dass all die Geschäftsdamen und -herren perlenketterauchen, als gäbe es kein Morgen. Ich fand es wirklich sehr bizarr. Es stellte sich heraus, dass der ältere Mann Watanabe-san heißt, was, glaube ich, sein Nachname ist. Er arbeitet im Außendienst für eine japanische Firma, die in alle Welt exportiert. Was da genau exportiert wird, ist in Watanabe-sans überraschend bescheidenem Englisch verlorengegangen. Entweder flower (Blumen), flour (Mehl) oder floor (Böden) oder was ganz anderes. Ich fand auf jeden Fall alles irre interesting. Ich heiße heute Abend übrigens Yuri-san, womit ich gut leben konnte, auch wenn Watanabe-san nicht so richtig verstand, dass Yulian mein Vorname ist (Im Japanischen nennt und schreibt man den Nachnamen nämlich immer vor dem Vornamen). Ich hatte glücklicherweise noch eine letzte Visitenkarte im Portemonnaie, die ich ihm zum Tausch in die Hand drücken konnte, als er mir seine (ausschließlich japanisch beschriftete) Karte gab. Und dann war er eigentlich nur noch begeistert und fröhlich von allem, was ich so erzählte. Ich bestellte nacheinander zwei Singapore Sling und hoffte, die Rechnung nicht selbst bezahlen zu müssen. Mein Internet war unterdessen auch flöten, weil die Bar im zweiten Stock und irgendwie außerhalb des W-LANs lag. Ich erzählte, dass ich Journalist sei in Deutschland, was genaugenommen übertrieben ist, aber ordentlich Eindruck schindete. Ich erzählte von Berlin und Hamburg und fragte mich die ganze Zeit, ob Watanabe-san überhaupt verstand, was ich da so plapperte, denn für einen Außendienstmitarbeiter von irgendwas war sein Englisch nämlich sehr holprig. Nach ungefähr einer Stunde verließ er mich dann, ich war nicht ganz unglücklich darüber und nun sitze ich hier in Nagoya und habe einen halbvollen, bezahlten Singapore Sling vor mir stehen und tippe ganz businesslike auf meinem Laptop herum. Nagoya ist auch ansonsten sehr gut zu mir, auch wenn ich das so nicht erwartet habe, weil es eigentlich eine sehr stiefmütterliche Entscheidung war, hierher zu fahren. Lilith hängt nämlich gerade auf Kyushu rum und ich hatte ursprünglich vor, sie in Nagasaki zu treffen, um mir dort Dejima, die alte Holländersiedlung anzugucken, aber das war mir dann doch zu weit weg. In Kobe, wo ich das letzte Wochenende bei Vladymir verbracht habe, wollte ich aber auch nicht mehr bleiben, denn irgendwann ist ja auch mal Schluss mit Romance. Ursprünglich wollte ich Vladymir nur nochmal ausgedehnt Tschüss sagen, schlussendlich bin ich allerdings von Freitag bis Dienstag bei ihm geblieben. Es gab nämlich noch eine Alle-tragen-weiß-Strandparty am Suma Beach, wo ich Ai-chan, Su-chan, Haruna, Saki und Nao wiedergesehen und Takashi kennengelernt habe, ein Baseballspiel zwischen den Orix Buffaloes (der Verein aus Kobe, von dem ich spontan mal Fan geworden bin) und den Tohuko Rakuten Golden Eagles aus Sendai, einen enttäuschenden und völlig überteuerten Ausflug in Kobes schwules Nachtleben und vermutlich das beste Essen meines Lebens in einem sehr modern eingerichteten Izakaya in der Nähe des Bahnhofs Setsu Motoyama. Also bin ich spontan mit meinem sheishun 18 kippu (= 5 Langstreckentickets in Japan mit allen JR-Zügen, außer den Shinkansen-Schnellzügen) in ungefähr 4 Stunden von Kobe nach Nagoya gefahren, in Japans viertgrößte Stadt hinter Tokyo, Osaka und Yokohama, und habe ungefähr das erwartet, was ich von Köln, Deutschlands viertgrößter Stadt, erwarten würde: nichts. Die Gegend um Nagoya wird allgemein als Chūkyō bezeichnet, was so viel wie zwischen den Hauptstädten bedeutet und sich auf die Lage zwischen Tokyo und Kyoto bezieht. Auch heute liegt Nagoya zwar noch immer mittendrin, gehört aber irgendwie nicht so richtig zu dem Kreis der großen, besuchenswerten japanischen Städte. Ähnlich wie Köln wurde übrigens auch Nagoya im Zweiten Weltkrieg quasi komplett dem Erdboden gleich gemacht und hat daher wenig authentisch historische Bausubstanz. Nagoya habe ich dann aber, ganz im Gegensatz zu Köln, sehr schnell in mein Herz geschlossen, denn es hat alles, was eine ordentliche Großstadt meiner Meinung nach so haben muss. Ein zwielichtiges (und für japanische Verhältnisse unglaublich dreckiges) Rotlicht-/Schwulenviertel (Sakae 4 chōme, auch Joshidai genannt), ein cooles Hipsterviertel (Osū 3 chōme, oder eigentlich alle Straßenzüge zwischen den U-Bahnstationen Kamimaezu und Osū Kannon) und ein hektisches Downtown (alles um den Bahnhof Sakae herum). Nagoya muss man sich vorstellen wie die gemeinsame Tochter von Hamburg und Rio de Janeiro, verkleidet als japanische Millionenstadt. Die größte brasilianisch-japanische Minderheit des Landes lebt in Nagoya, bzw. der Präfektur Aichi. Das gibt der Stadt irgendwie ein internationaleres und weltoffeneres Flair, als so homogen japanischen Städten wie Kyoto, Kobe und Osaka, wo höchstes ein paar Touristen und Expatriots rumhängen. Alle wichtigen Schilder in Nagoya sind meistens auch auf portugiesisch beschriftet und die Brasilojapaner sind allein deshalb schon so auffällig, weil sie fast durch die Bank weg unglaublich gutaussehend und stylisch sind. An Hamburg erinnert mich, dass der Hafen und die große umliegende Industrie Nagoya zu einem gewissen Reichtum verholfen haben, was man zwar irgendwie auch auf der Straße sieht, irgendwie aber auch nicht. Die Autos, die hier durch die Gegend fahren, sind auffällig größer, teurer und protziger als in den anderen Städten, die ich bisher gesehen habe. Die jungen Leute auf der Straße wiederum tragen überwiegend eher Kleidung, die ich grob als Streetstyle bezeichnen würde. Nicht schlecht, vielleicht ähnlich wie London und Berlin, aber eben lange nicht so chic und gestylt wie die Leute in Osaka, die eher einen Pariser oder Mailänder Modegeschmack haben. Nicht zuletzt mag ich an Nagoya, dass es für Touristen unglaublich zugänglich ist, vielleicht, weil es einfach nicht so viele davon gibt und man sich um die wenigen, die kommen, umso sorgfältiger kümmert. Es gibt einen Bus im 30-Minuten-Takt, der als Rundfahrt alle Sehenswürdigkeiten abklappert. Das Ticket kostet ¥500 (= 3,50€), ist einen ganzen Tag gültig und ein Tag reicht tatsächlich komplett aus, um die historischen Sehenswürdigkeiten Nagoyas zu sehen. Der Eintritt ist mit dem Ticket dann auch fast überall billiger. Ich bin zurzeit bei Pin in der Nähe der U-Bahnhaltestelle Motoyama untergekommen, meinem ersten Couchsurfing-Host, den ich ohne Lilith gefunden habe. Pin kommt aus Taiwan, ist 26 Jahre alt und ist Sales Manager für eine japanische Soja-Saucen-Firma. Mit Pin und mir klickte es sofort total gut, so gut sogar, dass ich meinen Aufenthalt in Nagoya spontan noch etwas verlängert habe. Außer mir ist noch ein weiterer Couchsurfer in Pins Wohnung, Austin, der 23 Jahre alt, angehender Arzt ist und ebenfalls aus Taiwan kommt. Im Gegensatz zu dem eher ruhigen und lockeren Pin ist Austin ziemlich aufgedreht und flamboyant. Beide sprechen fließend Englisch und ich bin echt froh, so unkompliziert meine perfekte Nagoyagang beisammen zu haben. Am Mittwochabend waren wir zu dritt chinesisch essen, neben Nudelsuppen mit Meeresfrüchten gab es unter anderem auch Tintenfischköpfe und frittierte Hühnerfüße, die etwas gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht waren. Am Donnerstag hat Pin bei sich zuhause chinesisch gekocht, nachdem Austin und ich den ganzen Tag durch Nagoya gelaufen waren, um uns das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaute Nagoyajō (= Schloss Nagoya) anzugucken und in Osū shoppen zu gehen. Die Nacht von Freitag auf Samstag war nicht nur mein letzter Abend in Nagoya, sondern auch Pins Geburtstag, Grund genug für uns beide, im Zentrum feiern zu gehen. Zuerst gingen wir in die Lesbenbar Short Bus in Sakae 4 chōme, fanden dort aber keine Karaoke-Anlage vor, was nämlich der ursprüngliche Plan gewesen war. Die Lesben waren dafür äußerst hilfsbereit und haben für uns alle Schwulenbars der Stadt durchtelefoniert, um sich nach deren Karaokeequipments zu erkundigen. Wir wurden schließlich an eine kleine Bar verwiesen, die den sprechenden Namen Fill Up trägt und trafen dort auf eine sehr lustige Runde von 8 schwulen Männern, die sich fleißig Longdrinks hinterkippten. Pin vertrug gerade mal einen halben Longdrink und war dann schon so betrunken und müde, dass er rote Flecken am Hals bekam und sich unaufhörlich die Augen rieb. Er schaffte es glücklicherweise aber doch noch hin und wieder, mir die Quintessenz der Barunterhaltung ins Englische zu übersetzen. Die Rechnung, die ich zu Pins Ehrentag alleine beglich, war viel höher als es irgendwie Sinn ergeben hätte, aber das habe ich erst am nächsten Tag nachgerechnet. Pin und ich gingen jedenfalls, weil wir die letzte Bahn verpasst haben, zum schlafen in ein Sentō. Das klingt seltsam, ist in Japan aber ziemlich normal. Man kann sich auch eigene Karaokekammern für die Nacht anmieten, sich in Internetcafés setzen (bzw. legen, die Stühle dort sind meistens ultrabequem), in ein eigentlich für andere Zwecke bestimmtes rabu hoteru (= Lovehotel) gehen oder billigstenfalls in einem McDonalds den Kopf auf eine Handvoll Fritten betten. Die Japaner haben sich da so einige Alternativbetten einfallen lassen, um weder ein teures Hotel noch ein teures Taxi bezahlen zu müssen. Es sind nochmal sehr coole und entspannte Tage gewesen, bevor ich dann am Sonnabend meine Sachen gepackt habe und nach Tōkyō gefahren bin, von wo aus ich dann in zwei Wochen zurück nach Deutschland fliegen werde. Was ich gelernt habe: toire ga arimas ka? (= Gibt es hier eine Toilette?) Was ich hätte brauchen können: Meine Portugiesischkenntnisse, die ich irgendwann mal in der Uni erworben, inzwischen aber verlegt habe. Wen ich grüße: Marina, meine brasilianische Mitbewohnerin in Berlin, an die ich in den letzten Tagen häufiger denken musste. Song des Tages: Let it go von Idina Menzel aus dem Disney-Film Frozen, weil das Lied hier wirklich ständig und überall gedudelt wird und mir ultra auf die Nerven geht. Meine Empfehlung an alle Japaner im Bezug auf dieses Lied: let it go! Dieses Video ist entstanden, als Austin und ich zufällig an der Universität Nagoya in einen Tanzklub oder so etwas ähnliches geraten sind. Cool sah es aber trotzdem aus, auch wenn der Schirm von der Dame im roten Rock eindeutig schrott war.
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Am Mittwoch bin ich zusammen mit Vladymir, einem in Japan lebenden, aber aus den Philippinen stammenden US-Amerikaner, seiner japanischen Freundin Ai (Spitzname: Ai-chan) und deren unglaublich zauberhafter Tochter Su-chan in ein Schwimmbad in der Nähe des Bahnhofs Tamatsukuri in Osaka gegangen. Dort trafen wir zufällig Javi, einen puertoricanischen Freund von Vladymir, und dessen japanischen Freund. Das Schwimmbad war zwar an sich ziemlich witzig (und wesentlich erfrischender als die kochend heißen Sentōs), allerdings war so ziemlich alles verboten, was Spaß macht: man durfte kein Bier trinken, nicht rauchen, nicht tauchen, und wegen der maximalen Wassertiefe von einem Meter auch nicht vom Beckenrand springen. Auch Sonnencreme durfte man nur in einem bestimmten Bereich auftragen, wenn ich das Gemotze des Bademeisters richtig interpretiert habe. Man durfte also eigentlich nur im Wasser planschen. Lustig fand ich allerdings, dass alle viertel Stunde alle Badegäste aus dem Becken steigen mussten, weil das Wasser dann komplett gereinigt wurde.
Mit Vladymir verbrachte ich schließlich meine gesamte restliche Zeit in Osaka. Ich mochte ihn, weil er so happy, shiny, all american dreamy ist. Mich fand er andersrum so outside the box europäisch und old-fashioned tiefsinnig. Das trifft es zwar natürlich nur oberflächlich, aber als gaijin (= Einwohner westlicher Länder oder im engeren Sinne Menschen mit weißer Haut) in Japan bleiben solche bekloppten Stereotype eben irgendwie nicht aus. Man ist sich hier eben ständig seiner Andersartigkeit bewusst und zwangsläufig ist genau das dann auch ständig Gesprächsthema. Ich fuhr jedenfalls noch einmal mit Vladymir und Ai-chan zu dem Partystrand nach Suma, wo ich von den Japanern dafür bewundert wurde, dass ich von einem kleinen Kai einen Kopfsprung ins Wasser machen konnte. (Ich überredete einige von ihnen, es mir nachzutun und so gab es an diesem Tag noch einige vom Aufprall schmerzende Bäuche und Gesichter). Außerdem lernten wir dort Haruna kennen, die eine Weile in Kanada gelebt hatte und uns ihre Lautsprecher auslieh um unsere eigene Strandparty mit der Musik von meinem Handy zu veranstalten (Lili Marleen von Lale Andersen kam überraschend gut an). Vladymir und ich besichtigten am Tag darauf zu zweit den Hyogo Daibutsu in Kobe (ein weiterer großer Buddha) und zusammen mit Ai-chan den eindrucksvollen Hafen von Kobe. Wir aßen fritierte Austern und Garnelen, die man dort zu Spottpreisen bestellen konnte und hingen rund um die Uhr miteinander rum. Es war wirklich schön und vor allem so herrlich unkompliziert. Ich fand es vielleicht einfach angenehm, mal wieder eine Sprache zu sprechen, in der ich mich halbwegs eloquent verständigen kann. Ich weiß außerdem gar nicht, ob Vladymir unter anderen Umständen mein Typ gewesen wäre, denn er ist bloß einen Meter kylieminogue groß und wir sehen nebeneinander unglaublich bescheuert aus. Aber er hat Urlaub (er arbeitet eigentlich als Englischlehrer in einer Vorschule in Kobe) und ich habe Urlaub und wir hatten beide Lust auf eine Urlaubsromanze. Das Tolle an Urlaubsromanzen ist ja, dass man quasi 60 Jahre Ehe in vier Tagen durchspielen kann und ungefähr das haben Vladymir und ich auch gemacht. Am Freitag habe ich, nachdem ich seine Freunde ja bereits kennengelernt hatte, ihn mit zu Yukos Geburtstagsparty im River & Castle side space mitgenommen. Lilith, die ich zu Vladymirs Gunsten die letzten Tage total vernachlässigt habe, trug bereits einen aufwendig gebundenen Yukata, den Yuko ihr geliehen hatte. Vladymir und ich hatten in Shinsekai, einem alten Stadtviertel von Osaka nördlich des Bahnhofs Tennō-ji, einen Kuchen und Geburtstagskerzen gekauft und noch schnell auf deutsch „Zum Geburtstag viel Glück!“ eingeübt. In Shinsekai hatten Vladymir und ich auch unser erstes romantisches Obdachlosen-candle-light-dinner: mit 2 onigiri (= Reisbällchen mit Füllung), zwei Bier und einer kleiner Geburtstagskerze unter dem Tsutenkaku Tower während es in Strömen regnete. Wir tranken Bier („biru mitsu o-kudasai!“), unterhielten uns mit Yukos Freunden so gut es eben ging und schossen so viele Selfies und Gruppenfotos, dass ich nun nach Lady Di die meistfotografierte Person der Welt bin oder so. Wir waren jedenfalls ziemlich cute und gutgelaunt. Zu dritt zogen Lilith, Vladymir und ich weiter nach Umeda, aßen in einer japanischen Fastfoodkette, deren Namen ich zurecht vergessen habe und sangen schließlich wieder im L'ecca Karaoke. Von da an ging irgendwie alles schief. Kurz zusammengefasst war es so: Vladymir baute Scheiße, ich war beleidigt und die Urlaubsromanze war wieder vorbei. Ich schwieg, er heulte, obwohl natürlich alles total locker und luftig sein sollte. Aber Urlaubsromanzen sind in sich komplett irrational angelegt. Man kommt zusammen, um wieder auseinander zu gehen. Und auseinander bedeutet in diesem Fall, dass Lilith und ich am Sonntagnachmittag mit dem Zug nach Kyoto gefahren sind. Was wir gelernt haben: Weißer Traubensaft mit Aloe Vera Stückchen ist die beste Wahl an japanischen Getränkeautomaten. Alles, was wie Eistee aussieht, könnte auch kalter Kaffee sein. Was wir hätten brauchen können: Wechselwäsche. Man kann ja vorher nicht ahnen, dass man drei Tage lang mit Nonstop-Verknalltsein beschäftigt sein wird. Wen ich grüße: Tiago, meine Lissabonner Urlaubsromanze von 2007. Song des Tages: Somewhere only we know von Keane (habe ich dank der Karaokemaschine wiederentdeckt und fast geheult) Lilith spielt im Yukata ein Ukulelenkonzert für Yuko, unsere Gastgeberin in Osaka Den versprochenen Taifun haben Lilith und ich überlebt, besser noch: verschlafen. Die ganze Nacht von Sonnabend auf Sonntag waren alle Menschen in Osaka in ängstlicher Erwartung auf den Taifun, der dann im Endeffekt erst am Sonntagmorgen in Osaka ankamen. Lilith und ich haben die Nacht unterdessen mit den Jungs aus der Miki-Bar durchgemacht, zusätzlich zu Joshi, Tomo und Toshio war diesmal auch Keiko, eine Japanerin mit einer ausgeprägten Affinität für kawaiie (= niedliche) Frösche und Koji dabei, der den Spitznamen The Beast trug. Wir sollten später erahnen können, warum. Nachdem wir in der Miki-Bar wieder ausgiebig gegessen und getrunken haben und mal wieder nicht bezahlen durften, beschlossen wir trotz Taifunwarnung nach Umeda zu fahren und dort feiern zu gehen. „Tanzen, trinken, rauchen“ - ungefähr so hatte ich umschrieben, was ich mir von der Nacht erwartete. Die Gruppe Japaner brachte uns daraufhin in den Gold Platinum Club Osaka, einer high class Diskothek mit gesalzenen Preisen, die sich in dem obersten Geschoss einer Shopping-Mall befand. Es wurde beinahe ausschließlich US-amerikanische Popmusik gespielt und auch die Diskothek selbst war das wahr gewordene Klischee eines exquisiten Klubs in irgendeiner westlichen Großstadt. Es war mehr als seltsam, zumal unsere japanischen Bekannten sich bis zu diesem Zeitpunkt geweigert hatten und auch im restlichen Verlauf des Abends weigern würden, uns auch nur mit einem Yen an den exorbitanten Kosten zu beteiligen. Ich, der deutsche Buddelpartys und geteilte Rechnungen gewöhnt ist, bekam ein schlechtes Gewissen. Am bizarrsten war es allerdings, dass der Gold Platinum Club außer uns von gerade mal 5 weiteren Personen besucht wurde und nochmal ebenso viele Kellner durch den schwarzen Klub schlichen. Irgendwie schafften wir es dann aber doch, Spaß zu haben, hauptsächlich auch, weil The Beast auf der Tanzfläche eine beeindruckende Breakdance-Performance aufführte. We just went wild, so gut es eben ging zumindest. Schließlich schloss der Klub und wir zogen weiter in die minimikrokleine Schwulenbar L'ecca, die unsere japanischen Bekannten für uns ausfindig machten, nachdem ich ihnen erzählt hatte, dass ich schwul sei. Ich bin mir auch nicht so ganz sicher, ob das positiv oder negativ aufgenommen wurde, die Stimmung schwankte zwischen belustigt und überrascht. Das L'ecca kam dann einer Berliner Partynacht am nächsten, wenn auch nicht unbedingt wegen westlicher Einrichtung oder Musik. Es gab eine Karaoke-Maschine, von der Lilith gekonnt gebraucht machte und großen Applaus erntete und auch ich sang mit einem älteren Japaner My heart will go on von Celine Dion. Man kann sich wohl ungefähr vorstellen, wie bezaubernd das war. Dass wir zu komplett allen Getränken, Taxifahrten und Eintritten eingeladen wurden, änderte sich übrigens nicht. Nur im Gold Platinum Club schafften wir es zwischendurch mal eine Runde Sake zu bestellen, die aber als mit Wasser verdünnter Whiskey missverstanden wurde. In den darauffolgenden Tagen machten Lilith und ich unsere ersten Tagesausflüge. Inzwischen bewegen wir uns schon etwas sicherer durch Japan, die gängigsten Floskeln haben wir schon drauf (Wakarimasen = Das verstehe ich nicht. Doitsu-jin desu = Ich komme aus Deutschland. Sugoi! = Großartig! Kampai! = Zum Wohl!) und auch der in Japan herrschende Linksverkehr findet von Tag zu Tag mehr Verständnis in meinen Gehirnsynapsen. Das ständige Schuhe an- und ausziehen ist eigentlich nur mit Flip-Flops oder Ballerinas zu meistern, Schnürschuhe treiben einen da wirklich zur Weißglut. Und auch von den vielen Verbeugungen werde ich sicherlich nach 5 Wochen einen Rückenschaden davon tragen. Viele japanische Gewohnheiten gefallen mir aber auch außerordentlich gut. Zum Beispiel die Höflichkeit, das ständige Aufeinander-Rücksichtnehmen. Das liegt mir nun zwar eigentlich eher nicht so im Blut, aber es hat doch sehr etwas für sich, dass alle immer so unheimlich nett zueinander sind. Ich werde mir Mühe geben, mir das etwas für Berlin zu merken. Ich hatte die Nacht davor im Frenzy Frenz durchgemacht, einer Schwulenbar in Umeda, die von einem sehr freundlichen Exil-Australier betrieben wird und von Ausländern und ausländerfreundlichen Japanern besucht wird. Das Frenzy Frenz war insofern ein guter Anlaufpunkt, als dass es dort schnelles W-LAN gibt. Außerdem liegen an der Theke Aufladekabel für alle möglichen Handys herum. So unkompliziert gibt es das sonst nur in und vor den Combinis (convenient store = Späti) der Stadt. Am Tag darauf ging unser erster Tagesausflug ging bei sengender Hitze nach Nara. Trotz meines Katers war es dort sehr schön, auch wenn ich mir die alte Kaiserstadt irgendwie kleiner und pittoresker vorgestellt hatte. Trotzdem: die vielen Tempel, Pagoden und vor allem der unglaublich große Daibutsu (= Buddhastatue) im Tōdai-ji-Tempel haben uns nicht enttäuscht. Unerwartete Highlights in Nara waren der unglaublich schöne Isui-en-Garten mit seinem traditionellen Teehaus und das Café Shalom, das von einer ganz bezaubernden älteren Japanerin mit ausgeprägtem England-Fimmel betrieben wird. Die Inneneinrichtung ist etwa im Stil englischer Landhäuser, die Speisekarte ist japanisierte italienische Küche und die Preise sind im Vergleich zu den Touristenrestaurants von Nara unschlagbar günstig. Wie genau das hebräische Wort Shalom zum Namensgeber wurde, konnten wir allerdings nicht herausfinden. Den Dienstag haben Lilith und ich in Kobe verbracht und uns zuerst mal ordentlich gefetzt, um uns dann aber auch direkt wieder zu vertragen. Dass das passiert, war zwar zu erwarten, wenn man rund um die Uhr aufeinander hockt, aber schließlich haben wir doch innerhalb einer halben Stunde alle Meinungsverschiedenheiten aus der Welt geräumt. Der Streit fand in den verwinkelten Straßen von Kitano statt, wo unter anderem ein Dänemarkhaus, ein Österreichhaus und ein Hollandhaus rumstehen, ein Deutschlandhaus konnten wir allerdings nicht finden. Das Viertel ist so eine Art Eurotown und auch in den Souvenirläden wird europäisch anmutender Kitsch verkauft. Als Europäer ist das auf der einen Seite zwar irgendwie unspannend („Oh schau, ein Backsteinhaus mit einem Wetterhahn auf dem Dach!“), auf der anderen Seite ist es schon witzig zu sehen, woraus japanische Europaklischees dann im Detail bestehen. Die Einrichtung im Hollandhaus zum Beispiel war vom Stil her eher dem 17. Jahrhundert entlehnt und auch das ausladende Spitzenbrautkleid auf dem Bett oder die bis zum Rand mit europäischen Geldscheinen gefüllte Schatzkiste habe ich so noch in keinem modernen holländischen Haushalt gesehen. Von Kitano aus sind wir nach Osten gelaufen in Richtung eines großen Geländes, an dem mehrere Sake-Brauereien stehen. Unser eigentlicher Beweggrund war, dass im Lonely Planet stand, dass der Eintritt zu dem Sake-Museum, das sich ebenfalls irgendwo dort befinden soll, umsonst ist und dass man bei Bedarf auch noch Sake verköstigen darf. Mit der Hilfe von einigen Wachleuten, die auf dem Gelände rumstanden, als hätte man sie nur für uns dahin gestellt, fanden wir den Weg dann auch und mussten uns ein 10-minütiges Video über die Herstellung von Sake reinziehen, bevor wir endlich an die Free Shots kamen. Gegen frühen Abend sind wir zu Kobes Partystrand nach Suma gefahren, wo japanische Jugendliche gerade ihre Sommerferien mit Bier begossen. Man kann sich das Ganze vorstellen als eine Mischung aus US-amerikanischem Summer Break, Ibiza und Full Moon Party in Thailand vorstellen. Ziemlich schnell wurden wir von Neil, einem älteren Australier, entdeckt und an einen Tisch in einer Strandbar eingeladen, in der neben zwei japanischen Mädchen und Mamad, einem Iraner, auch eine Handvoll japanische Feuerwehrmänner saßen, die genauso gut auch Schauspieler bei Baywatch hätten sein können. Obwohl es eigentlich unser Plan war, zeitig nach Osaka zurückzufahren, haben wir uns auf ein Asahi nach dem anderen einladen lassen und sind schließlich, als sich der Strand leerte, mit Shoichi und Ryunosuke nach Sannomiya (sozusagen Downtown Osaka) weitergezogen. Dort wiederholte sich gewissermaßen der vorherige Abend. Trotz Sprachbarriere saßen wir stundenlang miteinander in einem Separée in dem hinteren Teil eines japanischen Restaurants herum, die beiden Jungs bestellten massenhaft geiles Essen, wovon mir besonders die Bergkartoffeln wegen ihrer komischen Konsistenz und die Leberspieße in Erinnerung geblieben sind. Dass ich kein gorufurendu (= girlfriend) habe und auch generell boifurendus besser finde, sorgte auch an dem Abend für ziemlich merkwürdige Reaktionen: sie fragten einfach so häufig, ob ich ernsthaft schwul sei, bis sie beschlossen, es zu ignorieren. Am Ende kratzten die beiden Jungs, die selbst nicht älter waren als wir, ihre letzten Kröten zusammen und ließen uns partout nichts zu der Rechnung beisteuern. „Japanese style!“ war ihr magischer Imperativ, mit dem sie jeden Yen von uns ausschlugen, und was genau German style sei, wollte sowieso auch keiner wissen. Ryunosuke ging dann plötzlich ohne sich zu verabschieden, was etwas seltsam war und auch so gar nicht der feine englische style. Sho wiederum ließen wir betrunken wie tausend Russen am Bahnhof Sannomiya zurück, weil wir unseren letzten Zug nach Osaka bekommen mussten. Was wir gelernt haben: Karaoke singt man entweder mit Inbrunst oder gar nicht Was wir hätten brauchen können: Entweder mehr Durchsetzungskraft beim Bezahlen der Rechnungen oder mehr Gelassenheit beim Eingeladenwerden Wen ich grüße: Meine beiden Großmütter. Weil in Japan gerade Obon ist, das Laternenfest, zu dem alle Japaner in ihre Heimatdörfer fahren (was ich gerade nicht tun kann) und ihren Vorfahren gedenken. Das tue ich hiermit. Song des Tages: Dancing Queen von ABBA (war der absolute Renner in der Karaoke-Gaybar) Der Partystrand von Suma in Kobe
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Mai 2018
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