Grüne Hosen sitzen gut um die Hüfte, dennoch trägt jeder Hallenser rostbraune Röcke. Der ostdeutsche Chic ist unverwechselbar. Grammatik ist für Lea unbegreiflich, meint sie. Als Frühstück reichen Zigaretten aus Kolumbien, mittags braucht Yulian mindestens drei Schnitzel, sieben Schnäpse und eine Schlafmöglichkeit abends. Das alltägliche Schmankerl! Zigarettenrauch in Lungen und Venen, sindbadähnliche Zustände sind in Kreuzberg 61 allgegenwärtig. Völlig lustlose Einsiedler schleppen Stehlampen nach Castrop-Rauxel. Wieso weiß niemand, der Abitur schreiben muss oder einen Schuh trägt, weshalb Angela Merkels Stylist so stilsicher stylt? Ich kratze am Fensterrahmen den Lack vom Holz.
Gute Unterhaltung ohne Verständnis für Mangafans - selbstverständlich fanden wir Omas wesentlich ambitionierter. Kreative Köpfe und überdrehte Ohren lauchen dem Rosinchen. Schlafen ist überbewertet, Germany's Next Topmodel hingegen unterbewertet. Heidi Klum trägt mich ins Jenseits. Kunterbunte Klimperklunker-Kläuse klauen Gelsenkirchener Porzellantassen. Zwiebelmuster auf Tapeten gefällt. Leipziger Kellner sind bärtig oder rasiert, vor allem untenrum. Ein bösartiger Schelm könnte behaupten, dass wir faul wären, aber Vergnügen strengt an. Astra Rotlicht, südlich gedreht, schmeckt besser, wenn im Waldi Discolicht flimmert. Trambahnfahren ähnelt Schlittenfahren. Allerdings hat Leipzig fünf Kuckucksuhren ohne Spatzen; Katzen staksten durch Schummerlicht. Niemand wollte Schnaps ohne Kohlensäure und Kaffee. Erster Tag im Schnee: für Wehwehchen haben Leipziger wenig Verständnis. Dafür können unsere Füße wehklagen. Coole Hüte fliegen auf Wolken, Gardinenwolken! Anderswo wäre Lea quengeliger, weil sie Kaffee nirdendwo günstiger ersteigert. Louisa heißt auf allen Kontinenten "schillernd", obwohl Lea gar nicht glitzert. Bedauerlich finde ich es, dass Lisa Kränzler Datum und liebe Worte missen lässt. Unser Husten ist bereits Routine - trotzdem wirken wir kerngesund. Die Nacht verspricht sich. Obwohl Sprachschwierigkeiten den durchschnittlichen Tagebucheintrag verhindern, schreiben zwei Spaßvögel bitterernste Frauenromane, die niemals in die Geschichte der Messestadt eingehen konnten. Der polnische Wodka wirkt wunderbar, wenn wir ihn pur in Sammeltassen von Tante Erika - früher als Liebhaberstück verwendet - genießen. Intravenös sollte man jedoch nur Kaffee verabreichen, weil dieser bekömmlicher ist. In Schleswig-Holstein darf niemand einen Autounfall beobachten, weil alle alten Straßen sonst saniert werden müssen. Schlaue Hennen und Hähne schreiben pfiffige Gedichte, die übermorgen Kassenschlager werden. Jeder Bauer sehnt sich nach Geborgenheit und mütterlicher Kochkunst. Starker Unwille zur Einwilligung in lächerliche Unternehmungen zeugt von Humorlosigkeit. Fraglich bleibt, ob wir diesen Samstag erleben, bevor Lea verzweifelt in Stilettos umkippt.
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Als Anne-Marie und ich an der Turnhoutsebaan in Antwerpen standen, um unsere letzte Etappe auf unserem Roadtrip anzutreten, begannen wir, selbigen zu resümieren. Wir betrauerten die Tatsache, dass wir weder bei einem Truckie noch bei einer Frau mitgefahren waren (Eyla aus Leer zählt nicht, die entsprach nicht dem Typ Frau, den man davon hätte überzeugen müssen, Tramper mitzunehmen). Die letzten Tage in Antwerpen entpuppten sich als krönender Abschluss einer sowieso unbeschreiblichen Reise und wir waren uns sicher, dass wir in diesem Sommer 2010 unseren Vorrat an Anekdoten mindestens verdoppelt hatten. Nachdem wir an der Autobahnauffahrt Richtung Lüttich jedoch auch bereits eine Stunde warteten, kamen uns Zweifel, ob wir wirklich Lust auf diese letzte Anekdote hatten. Als die Stimmung gerade an einem Tiefpunkt angekommen war, hielt plötzlich ein Red-Bull-Promo-Auto, am Steuer saß eine junge Frau, die gesamte Rückbank war voll mit Red-Bull-Dosen. „Um euch ein bisschen zu unterstützen!", sagte sie - und drückte uns jedem eine Dose chemische Energie in die Hand. Passend zu dem Getränk hielt 5 Minuten später ein tiefergelegter Kleinwagen, aus dem lauter Techno dröhnte. Drinnen saß Wim, der seinen Wagen zu einer fahrenden Musikanlage umgebaut hatte. Er fuhr uns in Höchstgeschwindigkeit zur nächsten Raststätte nach Ranst, Anne-Marie verschüttete ihr Red Bull auf seiner Rückbank und hoffte, es würde trocknen, bevor er es bemerkt.
An der Raststätte mussten wir nicht lange warten, bevor der erste Wagen hielt. Das Blöde war, wir bemerkten es nicht, weil Anne-Marie mich gerade auf irgenetwas „total Gruseliges" im Gebüsch aufmerksam machen wollte. Also standen wir beide da, das Schild, Aufschrift "Lüttich/Köln", in der Hand, die Blicke Richtung Dunkelheit und ließen den Kleinwagen ungesehen ziehen, der – so redeten wir uns ein – garantiert eh nicht in unsere Richtung gefahren wäre. Fünf Minuten später, es war inzwischen bereits dunkel, hielt ein Truck mit rumänischem Kennzeichen. Wir stiegen ein und probierten, uns mit dem Fahrer zu verständigen. Er sprach nur Rumänisch und vielleicht Italienisch, wir konnten das nicht so genau entziffern. Ich antwortete mit irgendeinem Spanisch-Portugiesisch-Mix und es muss ein göttliches Bild abgegeben haben, wie wir verzweifelt probierten, miteinander zu reden und doch nichts verstanden. Seine Name war Gheorghe oder irgendwas, was so ähnlich klingt. Gheorghe fuhr nach Öesterreich und es sollte unsere nächste Aufgabe werden, mithilfe von Landkarten herauszufinden, wo sich unsere Wege trennten. Wir entschieden uns für Aachen und ließen uns dort an einer Raststätte absetzen. Immerhin waren wir schonmal wieder in Deutschland. Wir konnten uns kaum über unseren ersten Truckie freuen, da hielt auch schon der Nächste. Rolli, 43 Jahre alt aus Dessau. Anfänglich wollten wir bloß nach Köln fahren, um dort bei einer Freundin zu übernachten. Als Rolli jedoch von Bitterfeld in Sachsen-Anhalt erzählte, witterten wir bereits Hauptstadtluft. Wir entschieden uns also dazu, mit Rolli bei 80km/h durch Deutschland zu rollen und nicht mehr in Köln Halt zu machen. Rolli war ein freundlicher Typ. Sofort bot er Anne-Marie, die bereits müde wurde, sein Bett an. Eine halbe Stunde später hatte diese es sich in Rollis Bettwäsche bequem gemacht und schlief seelenruhig auf Deutschlands Autobahnen, während ich mich stundenlang mit Rolli unterhielt. Rolli erzählte von LKWs und dass er seinen Job liebte. Immer wieder präsentierte er mir Informationen „von denen mir die Ohren schlackern würden" - das war sein Lieblingsspruch – oder zeigte mir andere LKWs, die „mit allen Dood un Deibel" ausgestattet waren – Nummer 2 in seiner Redewendungen-Hitparade. An mir war er gar nicht interessiert, immer wieder fiel er mir ins Wort, wenn ich probierte, ihm von unserem Urlaub zu erzählen. Wenn er doch mal zuhörte, nutzte er jede Geschichte, um wieder zu sich selbst überzuleiten. Rolli redete gern. Oder vielleicht wollte er manche Dinge einfach mal los werden. Seine größte Sorge wurde es, Anne-Marie den Aufenthalt in seinem Truck so angenehm wie möglich zu gestalten: er achtete penibel darauf, dass nicht zwei Fenster auf einmal geöffnet waren, Anne-Marie wäre es sonst zu kalt geworden. Er umfuhr ganze Landstraßen, weil diese seiner Meinung nach zu holprig waren und Anne-Marie aufwachen könnte. Wenn ein Lied im Radio lief, bei dem Anne-Marie vorher mitgesungen hatte, drehte er es langsam ein bisschen lauter und warf einen Blick nach hinten – vielleicht freute sie sich im Schlaf darüber. Anne-Marie wurde während dieser siebenstündigen Fahrt nach Bitterfeld also umsorgt wie eine Prinzessin, während ich Mühe hatte, mich wach zu halten. Wir waren inzwischen bei LKW-Gewerkschaften und Gefahrengutladungen angekommen, da legte Rolli bei einem Autohof irgendwo im Nichts eine Pause ein. „Gesetzlich vorgeschrieben.", sagte er und tickte auf die digitale Uhr über ihm. Anne-Marie schlief hinten weiter, während Rolli und ich je eine Bockwurst und einen Kaffee zu uns nahmen. Ich wollte noch eben zur Toilette gehen und bat deshalb die Frau hinter der Kasse, mir meinen Zehn-Euro-Schein zu wechseln. „Du bist mit Rolli hier, oder?", fragte sie mich vertraulich. Ich nickte. „Ach, dann brauchst du nichts zu bezahlen." Meine prominente Begleitung hatte mir gerade eine Ersparnis von fünfzig Cent eingebracht. Ich war ein bisschen stolz auf Rolli. In der Truckieszene schien er eine große Nummer zu sein. Als wir weiter fuhren, inzwischen war es etwa 5 Uhr morgens, wurde auch Anne-Marie langsam wieder wach. Rolli erkundigte sich nach ihrem Wohlbefinden. „Gut, gut", sagte sie, während sie sich die Augen rieb und Rolli lächelte zufrieden. Ein paar Stunden später hatten wir dann unsere Bestimmung erreicht: Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, ein trostloses Fleckchen Deutschland irgendwo an der A9, eingehüllt in Morgennebel. Glücklicherweise mussten wir hier nicht länger warten, als ich „BE" auf unser Berlin-Schildchen schreiben konnte. Ohne es wirklich probiert zu haben, nahm uns Maria mit, eine Münchenerin, die auf dem Weg nach Rostock war. Sie arbeitete dort und nahm öfter Tramper mit, auf langen Strecken langweilte sie sich oft. Maria war sympathisch, ich war verdammt müde. Auf der Rückbank schlief ich beinahe ein, während Anne-Marie auf dem Beifahrersitz quickfidel war. In Werder an der Havel ließ Maria uns raus, mit unserem Semesterticket fuhren wir Richtung Berlin. Gegen elf Uhr mittags stiegen wir am Bahnhof Friedrichstraße aus, eine Frau rempelte mich an, noch bevor ich den Zug verlassen konnte. Berlin, wir sind zurück. Kosten/Strecke: 0€/917km Was wir gelernt haben: auch Truckies und Frauen haben ein Herz für Tramper Was wir hätten brauchen können: einen Pokal für den tollsten Truckie der Welt, um ihn Rolli zu überreichen |
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Mai 2018
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