Illustrationen © Hannelore Dreher (instagram: @hanneloredreher)
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Geschichten im Juni und Zitronen. Ein matter Blick auf bloßer Haut,
bleischwere Gedanken, die hinter Klinkern wohnen. Nackte Beine im Vorgarten des August, der stumme Laut einer leichten Bö unter Blättern, auf denen Worte sich ranken. Staub schwebt träge durch die Gasse. Seifenduft auf der Terrasse. Kopfsteinpflasterbucht. Winzige Schatten auf der Flucht. Spiel es, Sam. Orchester vom Band in Casablanca. Bleibt hier, Antonia un dien trurige Klüsen. Uns bleibt immer noch Oldenburg in Gedanken und der tränenfarbene Himmel auf Bögen Papier. wir werfen den Anker auf steinerne Fliesen. Dort fließt die Hunte, siedendes Meer. Verwelkte Tinte, die Kleidung vom Leib schreib' ich dir und lache sehr. (vgl. Derek Walcott - Bleecker Street, Summer. 1930) Die Segel für die Flucht aus Schortens waren gesetzt und die Winde schienen günstig. Bereits nach fünf Minuten Warten wurden wir nach Oldenburg gebracht. Unser Fahrer machte irgendwas mit Computern, wir beide heuchelten Interesse. Das Gespräch nahm eine ungeahnte Wendung und endete schließlich bei der Russendisko, die er unbedingt mal besuchen wolle. Ein kurzer Moment, in dem mir auffiel, dass uns tatsächlich noch keine Frau mitgenommen hat – trotz vermeintlichem Pärchen-Bonus. Mit dem Bus in die Oldenburger Innenstadt fuhren wir diesmal schwarz, um unsere Weg-Kosten-Rechnung nicht unnötig zu ruinieren. Während wir uns in der Innenstadt mit Freunden trafen, probierten Anne-Marie und ich, eine Schlafmöglichkeit für die Nacht zu organisieren. Außer einem Platz auf nacktem Boden wurde uns jedoch nichts angeboten und wir beschlossen, dass wir auch auf unserem weiteren Weg etwas Aequivalentes finden könnten. Hätten wir bloß da schon gewusst, wie Recht wir damit haben sollten.
Während wir also zwei geschlagene Stunden an der Autobahnauffahrt auf eine adäquate Mitfahrgelegenheit warteten, fielen uns plötzlich eine Menge Dinge ein, die unbedingt noch erledigt werden mussten. Anne-Marie musste beispielsweise dringend Zigarettendrehen lernen (Filterzigaretten wirken zu bourgeois, um zu trampen. Kann in Holland auch sonst von Vorteil sein.), ich hingegen dachte mir aus, wofür einige Kfz-Abkürzungen wirklich stehen. (WTM - Wir töten Menschen, CLP - Christliches Lumpenpack) Nach den oben erwähnten zwei Stunden erlöste uns schließlich Ludwig von der Schmach, unseren Negativ-Warterekord zu brechen und fuhr mit uns nach Leer. Ludwig kam aus Leer, hatte uns bereits vor zwei Stunden mal gesehen und nun Mitleid bekommen. Ludwig sprach mit solch einem starken ostfriesischen Dialekt, dass Anne-Marie sich völlig aus dem Gespräch ausschaltete und ich umso mehr selbigen adaptierte. Wir redeten über Leer und Berlin, probierten Gemeinsamkeiten zu finden und verwarfen diesen Versuch sofort wieder. Ludwig war sympathisch und ich hätte ihn trotz seiner 38 Jahre gerne als Großvater adoptiert. Auch weil ich der Grund war, warum er angehalten hat. „Ich bin nicht schwul, aber nur eine Frau – da hätte ich nicht angehalten. Wer weiß, was die einem dann später anhängt.“ Aus Ludwig schien das Leben zu sprechen und da diese Sympathie offensichtlich beiderseitig aufkeimte, fuhr er uns sogar bis zum Leeraner Bahnhof, an dem er die größten Chancen auf Weiterfahrt vemutete. Außer einer Gruppe Spanier, die versehentlich nicht in den Zug zum Bremer Flughafen eingestiegen sind, und einem Taxifahrer, der das große Geschäft witterte, war weit und breit niemand zu sehen. Hin und wieder fuhren ein paar Jugendliche in ihren tiefergelegten Autos vorbei, um fünf Runden in dem Kreisverkehr zu drehen. Eine junge Frau bot sich außerdem an, uns in die Jugendherberge zu bringen – oder auch früh um 6 Uhr zur niederländischen Grenze. Letzteres nahmen wir an und tauschten Handynummern mit Eyla. Weil auch sonst keiner nach Holland wollte, beschlossen Anne-Marie und ich, die Leeraner Innenstadt zu erkunden. Unsere Müdigkeit hielt uns nicht davon ab, den erstbesten (und vermutlich einzigen) Laden zu betreten. Es war das Jameson's Pub am Mühlenplatz und man kann guten Gewissens sagen, hier brummte der Bär. Die Bandbreite an Menschen war kaum zu übertreffen. Da wäre zum einen Petra, die Dame hinter der Bar, die förmlich darauf wartete, dass endlich jemand ihre groß angekündigten Sommercocktails bestellte. Noch bevor wir einen Schluck nehmen konnten, plauderte sie schon das Rezept aus. An der Bar saß ein Mann, der mit seiner wasserstoffblonden Lockenmähne einer norwegischen Version des frühen Jon Bon Jovi glich; neben ihm Willygo, der zu späterer Stunde noch das Gespräch mit Anne-Marie suchte. „Das ist'ne tolle Locke“, lallte er und meinte ihre Frisur. „Und schöne Augen hast du auch.“ Bevor er noch weitere Körperteile lobhudeln konnte, stand allerdings schon das Taxi bereit, das Petra ihm gerufen hatte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass, wenn man schon an einem Donnerstagabend in irgendeiner deutschen Kleinstadt stranden musste, es doch wenigstens Leer sein musste. Um kurz vor 3 verließ uns schließlich der Partyesprit und wir schlugen mangels Alternativen in der Bankfiliale gegenüber unsere Zelte auf. Es war unbequem auf dem Fliesenfußboden und angesichts der drohenden Erniedrigung hier vorgefunden zu werden, konnten wir kaum ein Auge zu tun. Ich fragte mich, was meine Mutter nun wohl von dieser Situation finden würde und ob das nicht etwas zu viel des Abenteuers sei. Ich stellte mir vor, wie wir doch einschliefen und am nächsten Tag von der ersten Bankangestellten überrascht werden würden. Ich überlegte außerdem, wie viel ein Taxi von Leer nach Berlin wohl kosten mag. Aber alles half nichts, auch die schlimmste Nacht unserer bisherigen Reise ging vorüber und wir standen um 6 Uhr frisch wie Zahnpasta auf dem Bahnhofsvorplatz, um Eyla zu treffen. Eyla hätte Ludwigs Tochter sein können. Sie war genauso witzig, ohne irgendwelche Pointen betonen zu müssen, der gleiche ostfriesische Singsang. Eyla war viel gereist, immer per Anhalter. „Irgendwann wollte ich eine Woche abschalten in Dänemark. Ich hab dort so viel gekifft, dass ich am nächsten Tag in Paris aufwachte und nicht wusste warum.“ Anne-Marie und ich schauten uns verwundert an ob dieser unerklärlichen Magie. Kurz vor Rhede an der Ems schubste Eyla uns in die Morgendämmerung und empfahl uns das Frühstück „bei Rudi“. Rudi empfahl uns nach dem Frühstück eine geeignete Stelle zum Trampen. Klappte anfänglich eher nicht so gut, aber schließlich nahm ein junger Niederländer uns über die Grenze mit und setzte uns in Winschoten wieder aus. Dort gaben wir unser Bestes, um schnell weiter zu kommen. Die Niederländer schienen anfangs auch tatsächlich freundlicher als die Deutschen; sie winkten, lächelten uns zu und hupten – aber keiner hielt an. Nach einer Stunde erbarmte sich ein Familienvater und fuhr uns nach Groningen. Auch er hatte uns schon auf dem Hinweg gesehen und auf dem Rückweg Mitleid bekommen. Kosten/Strecke: 0€/217km Was wir gelernt haben: Plattdeutsch, von Ludwig Was wir hätten brauchen können: Freunde in Leer Erst waren es bloß ein paar Tropfen, kurze Zeit später ein ausgewachsener Regenschauer. Anne-Marie und ich sitzen an der Autobahnauffahrt Spanische Allee im Südwesten Berlins, im Gras hinter uns liegen unsere Reisetaschen. Sie hält ein Schild mit der Aufschrift 'Bremen/Hannover' in der Hand, ich strecke unaufhörlich meinen Daumen in die Luft und suche Blickkontakt zu den Autofahrern. Wir hätten bereits begonnen zu zweifeln, ob per Anhalter fahren nicht ein Relikt vergangener Zeiten ist, wenn wir nicht schon drei Tramperpärchen vor uns hätten wegfahren sehen. All diese Leute ließen sich auf ein bestimmtes Erscheinungsbild reduzieren: überdimensionaler Rucksack, mehrfarbige Strickbekleidung und ungestümer Haarwuchs. „Wie können die Menschen so herzlos sein? Man kann uns doch nicht dafür bestrafen, dass wir uns geschmackvoll kleiden.“, sagte sie weinerlich. Seit drei Stunden standen wir bereits an Ort und Stelle, haben wildfremde Menschen angesprochen, Schilder gemalt und reiselustig drein geschaut. Die meisten Fahrer schauten mitleidig zurück und fuhren weiter. „Es liegt an deiner Hose.“, schlussfolgerte endlich Anne-Marie, „Vintage in Brüssel kaufen, aber umsonst dort hin fahren wollen. Das passt nicht zusammen. Wir sehen nicht arm genug aus.“ Ich setzte bereits an zu einem erhitzten Vortrag über belgische Designer, als uns der blaue Twingo aus Sachsen-Anhalt ansprach.
Er fahre zwar nicht in unsere Richtung, könne uns aber zum nächsten Rasthof mitnehmen. Chancenoptimierung, sagte er noch, und dass er Wirtschaft studiert habe. Gerade fertig geworden, jetzt hatte er ein Vorstellungsgespräch in Berlin. „Gibt Schlimmeres“, tönten Anne-Marie und ich von der Rückbank und waren glücklich, unserem Ziel 25 km näher zu kommen. Von da an ging plötzlich alles ganz schnell. In Michendorf hatten wir innerhalb von fünf Minuten ein kroatisches Ehepaar aus Emden beschwatzt, uns mit nach Oldenburg zu nehmen. Anfangs gaben wir uns noch Mühe, ihnen zuzuhören (sie hatten ihre Tochter besucht, die gerade nach Berlin gezogen war), doch bereits nach einer Viertelstunde zwang uns der Schlafmangel der letzten Nacht in die Rückbankpolster. Erst kurz vor Oldenburg wurden wir wieder wach und erwarteten sehnsüchtig das Ende unserer ersten Etappe. Irgendwo in der oldenburgischen Kleinstadtperipherie wurden wir lieblos ausgesetzt und stiegen in einen Bus Richtung Innenstadt. Wir trafen uns mit zwei Freundinnen von früher und traten nach zwei Stunden bereits die Weiterreise an. Diesmal wollten wir im Zug trampen und wurden am Bahnsteig 5 auch schnell fündig. Eine Mutter, die mit ihrer Tochter wartete, wollte uns auf ihrem Niedersachsenticket mitfahren lassen, allerdings war die Frau geschäftstüchtiger, als wir zunächst annahmen: mit zehn Euro sollten wir uns beteiligen. Wir handelten sie auf acht herunter und stiegen in den Zug Richtung Heimat. Vier Stationen und dreißig Minuten friesische Einöde später holte uns schließlich meine Mutter vom Schortenser Bahnhof ab. Kosten/Strecke: 5,60€/478km Was wir gelernt haben: Trampen hat viel mit Mitleid zu tun Was wir hätten brauchen können: einen Poncho, möglichst bunt |
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Mai 2018
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