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_ Es war wohl ein hübscher Zufall oder das, was man gemeinhin Schicksal nennt, dass diese seltsame blonde Dame am letzten Donnerstag im Hamburger Ego vor mir stand. „Ich bin eine Prinzessin!“, sagte sie. „Trag mir das in meinen Kalender ein.“, sagte ich. Es ranken sich Legenden um die genaue Entstehungsgeschichte unserer Freundschaft, aber zumindest Kapitel II lässt sich an dieser Stelle wahrheitsgemäß wiedergeben.
Es war wieder ein Donnerstag – Schicksal? – und auf der kleinen Bühne der Hasenschaukel stand Donkey Princess, ihres Zeichens musikale Prinzessin des Hamburger Kiezes. Auch die seltsame Blonde von letzter Woche war anwesend. Donkey Princess verstand es vom ersten Moment ihres Konzerts an für andächtige Stille zu sorgen. Ein Glockenspiel, ein Keyboard und ein Metronom sind die Stargäste ihrer spektakulären One-Woman-Show. Etwas lillyallenesk kommt sie daher mit ihrem sloane-speak; die große Hornbrille rutscht ihr gelegentlich von der Nase und das Publikum liebt sie. Nicht bloß so als Floskel, sondern wirklich. Es sitzen Leute auf dem Boden, es ist stiller als bei Mutti unterm Weihnachtsbaum. St. Pauli hat sich versammelt, um zu hören, was Donkey Princess zu erzählen hat. Superheldin auf dem Schlachtfeld der Sehnsucht, sagt der Flyer. Keine Frage. Virtuos covert sie Culture Beat und Rihanna, liefert Selbstgeschriebenes das nach Großartigem klingt und irgendwie besinnlich stimmt. Was ist dieser Mr. Wrong eigentlich für ein Penner?, fragt man sich plötzlich, obwohl das eigentlich schon vor zwanzig Jahren auf der Hand lag. Donkey Princess erinnert mich an eine Grundschulfreundin, die mir früher ihre Marmeladenstullen gab, wenn meine Mutter mich mit Schwarzbrot mit Käse quälen wollte. Genauso ist Donkey Princess: sie gibt uns das süße Zeug, wenn eigentlich grad gar nichts zucker ist. Liebeskummer klingt bei ihr wie Disneyland und plötzlich will man doch probieren Freunde zu bleiben, mit all den Mr Wrongs und Mr. Vains, die einem mal begegnet sind. „Fast fröhlich.“, sagt sie selbst leise. Sie ist nicht nur Prinzessin der alten Schule, sondern auch eine Songwriterin von der man auch jenseits der Hansestadt noch hören wird. Findet die Blonde von letzter Woche übrigens auch. (Käuflich ist Donkey Princess übrigens auch.) _ Brandneu! Metaebene! Jeder hat einen fancy Blog, vielleicht sogar einen hyperfancy Blog. An Klickzahlen bemisst sich, wer lahm ist und wer krasst ist. Hashtag hier - für immer und ewig. Hyperlink da - bis dass der Tod euch scheidet. Krass! Ein 88-jähriger US-Amerikaner hält uns mit seinem Fashionblog auf Trab. Bitter! Der iranische Student hat seit Wochen nichts gepostet. Gewagt! Eine junge Aegypterin fotografiert ihren nackten Körper und sieht nicht ganz glücklich dabei aus. So ist ihre Scham letztlich politisches Statement geworden. Verrückt! Neu! Schön! Makellos! Für jedes Ausrufezeichen stirbt ein Kind in Ostafrika. Super! Mega! Hyper!
Elektronische Träume. Mitten in der Nacht wacht er auf. Berlin, zwei Uhr sechsundzwanzig. Er weiß, dass er nicht talentlos ist, aber diese vielen Gedanken jede Nacht. Legen sich in sein Hirn wie Watte, ziehen sich auseinander, verspinnen sich ins Endlose, verknüpfen und verknoten sich, es ist der Wahnsinn. Hirnfilz. Geniestreich. Weiß er nicht. Draußen fängt es an zu regnen. Er schaltet das Licht in Prenzlauer Berg wieder an und geht in die Küche. Mixer, Mikrowelle, Geschirrspüler, Kühlschrank. Elektronische Träume. Sie leuchten blau. Mit einem Schälchen Reis in der gewölbten Handfläche, die Gabel grad im Mund, läuft er durch seine Wohnung. Nicht zu laut sein, die hysterische Mitbewohnerin könnte wach werden. Hat kein Verständnis für nächtliche Streifzüge über den Dielenboden. Die Verknüpfungen und Verbindungen lassen ihn nicht los. Er und seine Mitbewohnerin. Er und die brünette Kanadieren von letzter Woche. Die brünette Kanadierin und ihr Freund, der auf die Europareise nicht mitkommen konnte. Er und Mina. Er und sein Freund, der kürzlich nach Hamburg gezogen ist. Etwas verbindet ihn mit jedem, trotzdem steht er immer knapp daneben. Er ist der Einzelgänger unter den Individualisten, der wahre Gentleman neben den Konformisten. Er schleicht ins Wohnzimmer und steckt eine willkürlich gewählte Kassette in den Videorekorder. Romantic Comedy aus einer Zeit, in der das Wort Romantic Comedy noch nicht erfunden war. Er nimmt Anlauf, macht einen großen Satz, macht ein Komma, macht einen Punkt. Alle staunen und träumen. Elektronische Träume. Das öde Video flimmert hektisch durch seine Wattewolken, er schaut nicht richtig hin. Fönfrisuren aus den Achtzigern, die die Fünfziger zitieren. Es ist eine virtuelle Ueberflutung. Die schönsten elektronischen Träume stellen sich zu zweit vor der Arche auf, der Rest ersäuft. Weltuntergang statt Badeurlaub. Er setzt sich an seinen Schreibtisch, nimmt ein Blatt Papier und schreibt seinem Freund in Hamburg: „Ich halte Mina im Arm. Spaeter, nachdem ich einen dunkelhaarigen Grossen und eine Blonde mit Bob angemacht habe, tanze ich mit Mina im Schutz der anderen Gaeste, viele Körper entfernt von unseren Freunden. Ich beuge mich zu ihr herab, will ihr etwas zuflüstern. (Das ü ist der einzige Umlaut, den er mag.) Doch ich bringe nichts hervor und beisse (Er mag das ß nicht sonderlich. Es sieht aus wie ein großes B.) sie stattdessen sanft ins Ohrlaeppchen. Ihre Hand ist irgendwie auf meiner Brust. Dann küsse ich sie auf den Hals. Unsere Lieder sind vorüber, der Tanz ist sinnlos geworden, all meine Gefühle habe ich entlang den Liedzeilen hervorgewispert. Nun war ich leer und wollte gehen. Ich schloss die Augen. Nachbilder ihrer dunklen blitzenden Augen verfolgten mich überall hin.“ Er faltet das Blatt Papier, steckt es in ein Kouvert, befeuchtet den Rand mit der Zunge und schreibt die Adresse seines Freundes auf die Vorderseite. Auf die Rückseite malt er in Kapitälchen CONTAINS POP. |
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Mai 2018
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