Die bezaubernde Su-chan hängt mit uns in einer völlig überteuerten Bar in Kobe rum und singt Karaoke Diese Zeilen schreibe ich gerade aus dem wohl teuersten Hotel der Stadt Nagoya und ich weiß, um ehrlich zu sein, auch nicht so richtig, wie ich hier gelandet bin. Zuerst war ich eigentlich nur spätabends auf der Suche nach einem W-LAN (auch irgendwie das Thema dieses Urlaubs) und einer Steckdose, um mein Handy aufzuladen. Ich habe mich dafür in die Hotellobby des Nagoya Tokyu Hotels gesetzt, das von außen gar nicht so unglaublich protzig aussah, wie es von innen dann schließlich war. Ich habe an der Rezeption behauptet, auf eine Freundin zu warten, mir einen Internetzugang geben lassen und mich in eine Sitzecke gesetzt. Nach etwa zwanzig Minuten kam ein älterer, japanischer Mann auf mich zu und ich dachte mir, ok, scheiße. Jetzt ist mein Parasitentum aufgeflogen und ich werde zwar höflich-japanisch, aber hochkant auf die Straße gesetzt. Der Mann fragte aber einfach nur woher ich komme (Doitsujin desu!) und ob ich beruflich in Nagoya sei. Ich sagte ja, auch wenn ich abgesehen von dem weißen Hemd, das ich trug (Gott sei Dank!), wirklich nicht nach big business aussah. (Adidas-Turnschuhe, kurze Hose, schwarzer Turnbeutel, vermutlich sehr verschwitzt.) Er lud mich in die Bar im zweiten Stock ein, die Fontana di Trevi heißt und echt an Prunk und Prahl kaum zu toppen ist. Alles ist hier entweder golden, weil blingbling oder in angenehmen Nikotinfarbtönen, vermutlich damit später nicht so auffällt, dass all die Geschäftsdamen und -herren perlenketterauchen, als gäbe es kein Morgen. Ich fand es wirklich sehr bizarr. Es stellte sich heraus, dass der ältere Mann Watanabe-san heißt, was, glaube ich, sein Nachname ist. Er arbeitet im Außendienst für eine japanische Firma, die in alle Welt exportiert. Was da genau exportiert wird, ist in Watanabe-sans überraschend bescheidenem Englisch verlorengegangen. Entweder flower (Blumen), flour (Mehl) oder floor (Böden) oder was ganz anderes. Ich fand auf jeden Fall alles irre interesting. Ich heiße heute Abend übrigens Yuri-san, womit ich gut leben konnte, auch wenn Watanabe-san nicht so richtig verstand, dass Yulian mein Vorname ist (Im Japanischen nennt und schreibt man den Nachnamen nämlich immer vor dem Vornamen). Ich hatte glücklicherweise noch eine letzte Visitenkarte im Portemonnaie, die ich ihm zum Tausch in die Hand drücken konnte, als er mir seine (ausschließlich japanisch beschriftete) Karte gab. Und dann war er eigentlich nur noch begeistert und fröhlich von allem, was ich so erzählte. Ich bestellte nacheinander zwei Singapore Sling und hoffte, die Rechnung nicht selbst bezahlen zu müssen. Mein Internet war unterdessen auch flöten, weil die Bar im zweiten Stock und irgendwie außerhalb des W-LANs lag. Ich erzählte, dass ich Journalist sei in Deutschland, was genaugenommen übertrieben ist, aber ordentlich Eindruck schindete. Ich erzählte von Berlin und Hamburg und fragte mich die ganze Zeit, ob Watanabe-san überhaupt verstand, was ich da so plapperte, denn für einen Außendienstmitarbeiter von irgendwas war sein Englisch nämlich sehr holprig. Nach ungefähr einer Stunde verließ er mich dann, ich war nicht ganz unglücklich darüber und nun sitze ich hier in Nagoya und habe einen halbvollen, bezahlten Singapore Sling vor mir stehen und tippe ganz businesslike auf meinem Laptop herum. Nagoya ist auch ansonsten sehr gut zu mir, auch wenn ich das so nicht erwartet habe, weil es eigentlich eine sehr stiefmütterliche Entscheidung war, hierher zu fahren. Lilith hängt nämlich gerade auf Kyushu rum und ich hatte ursprünglich vor, sie in Nagasaki zu treffen, um mir dort Dejima, die alte Holländersiedlung anzugucken, aber das war mir dann doch zu weit weg. In Kobe, wo ich das letzte Wochenende bei Vladymir verbracht habe, wollte ich aber auch nicht mehr bleiben, denn irgendwann ist ja auch mal Schluss mit Romance. Ursprünglich wollte ich Vladymir nur nochmal ausgedehnt Tschüss sagen, schlussendlich bin ich allerdings von Freitag bis Dienstag bei ihm geblieben. Es gab nämlich noch eine Alle-tragen-weiß-Strandparty am Suma Beach, wo ich Ai-chan, Su-chan, Haruna, Saki und Nao wiedergesehen und Takashi kennengelernt habe, ein Baseballspiel zwischen den Orix Buffaloes (der Verein aus Kobe, von dem ich spontan mal Fan geworden bin) und den Tohuko Rakuten Golden Eagles aus Sendai, einen enttäuschenden und völlig überteuerten Ausflug in Kobes schwules Nachtleben und vermutlich das beste Essen meines Lebens in einem sehr modern eingerichteten Izakaya in der Nähe des Bahnhofs Setsu Motoyama. Also bin ich spontan mit meinem sheishun 18 kippu (= 5 Langstreckentickets in Japan mit allen JR-Zügen, außer den Shinkansen-Schnellzügen) in ungefähr 4 Stunden von Kobe nach Nagoya gefahren, in Japans viertgrößte Stadt hinter Tokyo, Osaka und Yokohama, und habe ungefähr das erwartet, was ich von Köln, Deutschlands viertgrößter Stadt, erwarten würde: nichts. Die Gegend um Nagoya wird allgemein als Chūkyō bezeichnet, was so viel wie zwischen den Hauptstädten bedeutet und sich auf die Lage zwischen Tokyo und Kyoto bezieht. Auch heute liegt Nagoya zwar noch immer mittendrin, gehört aber irgendwie nicht so richtig zu dem Kreis der großen, besuchenswerten japanischen Städte. Ähnlich wie Köln wurde übrigens auch Nagoya im Zweiten Weltkrieg quasi komplett dem Erdboden gleich gemacht und hat daher wenig authentisch historische Bausubstanz. Nagoya habe ich dann aber, ganz im Gegensatz zu Köln, sehr schnell in mein Herz geschlossen, denn es hat alles, was eine ordentliche Großstadt meiner Meinung nach so haben muss. Ein zwielichtiges (und für japanische Verhältnisse unglaublich dreckiges) Rotlicht-/Schwulenviertel (Sakae 4 chōme, auch Joshidai genannt), ein cooles Hipsterviertel (Osū 3 chōme, oder eigentlich alle Straßenzüge zwischen den U-Bahnstationen Kamimaezu und Osū Kannon) und ein hektisches Downtown (alles um den Bahnhof Sakae herum). Nagoya muss man sich vorstellen wie die gemeinsame Tochter von Hamburg und Rio de Janeiro, verkleidet als japanische Millionenstadt. Die größte brasilianisch-japanische Minderheit des Landes lebt in Nagoya, bzw. der Präfektur Aichi. Das gibt der Stadt irgendwie ein internationaleres und weltoffeneres Flair, als so homogen japanischen Städten wie Kyoto, Kobe und Osaka, wo höchstes ein paar Touristen und Expatriots rumhängen. Alle wichtigen Schilder in Nagoya sind meistens auch auf portugiesisch beschriftet und die Brasilojapaner sind allein deshalb schon so auffällig, weil sie fast durch die Bank weg unglaublich gutaussehend und stylisch sind. An Hamburg erinnert mich, dass der Hafen und die große umliegende Industrie Nagoya zu einem gewissen Reichtum verholfen haben, was man zwar irgendwie auch auf der Straße sieht, irgendwie aber auch nicht. Die Autos, die hier durch die Gegend fahren, sind auffällig größer, teurer und protziger als in den anderen Städten, die ich bisher gesehen habe. Die jungen Leute auf der Straße wiederum tragen überwiegend eher Kleidung, die ich grob als Streetstyle bezeichnen würde. Nicht schlecht, vielleicht ähnlich wie London und Berlin, aber eben lange nicht so chic und gestylt wie die Leute in Osaka, die eher einen Pariser oder Mailänder Modegeschmack haben. Nicht zuletzt mag ich an Nagoya, dass es für Touristen unglaublich zugänglich ist, vielleicht, weil es einfach nicht so viele davon gibt und man sich um die wenigen, die kommen, umso sorgfältiger kümmert. Es gibt einen Bus im 30-Minuten-Takt, der als Rundfahrt alle Sehenswürdigkeiten abklappert. Das Ticket kostet ¥500 (= 3,50€), ist einen ganzen Tag gültig und ein Tag reicht tatsächlich komplett aus, um die historischen Sehenswürdigkeiten Nagoyas zu sehen. Der Eintritt ist mit dem Ticket dann auch fast überall billiger. Ich bin zurzeit bei Pin in der Nähe der U-Bahnhaltestelle Motoyama untergekommen, meinem ersten Couchsurfing-Host, den ich ohne Lilith gefunden habe. Pin kommt aus Taiwan, ist 26 Jahre alt und ist Sales Manager für eine japanische Soja-Saucen-Firma. Mit Pin und mir klickte es sofort total gut, so gut sogar, dass ich meinen Aufenthalt in Nagoya spontan noch etwas verlängert habe. Außer mir ist noch ein weiterer Couchsurfer in Pins Wohnung, Austin, der 23 Jahre alt, angehender Arzt ist und ebenfalls aus Taiwan kommt. Im Gegensatz zu dem eher ruhigen und lockeren Pin ist Austin ziemlich aufgedreht und flamboyant. Beide sprechen fließend Englisch und ich bin echt froh, so unkompliziert meine perfekte Nagoyagang beisammen zu haben. Am Mittwochabend waren wir zu dritt chinesisch essen, neben Nudelsuppen mit Meeresfrüchten gab es unter anderem auch Tintenfischköpfe und frittierte Hühnerfüße, die etwas gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht waren. Am Donnerstag hat Pin bei sich zuhause chinesisch gekocht, nachdem Austin und ich den ganzen Tag durch Nagoya gelaufen waren, um uns das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaute Nagoyajō (= Schloss Nagoya) anzugucken und in Osū shoppen zu gehen. Die Nacht von Freitag auf Samstag war nicht nur mein letzter Abend in Nagoya, sondern auch Pins Geburtstag, Grund genug für uns beide, im Zentrum feiern zu gehen. Zuerst gingen wir in die Lesbenbar Short Bus in Sakae 4 chōme, fanden dort aber keine Karaoke-Anlage vor, was nämlich der ursprüngliche Plan gewesen war. Die Lesben waren dafür äußerst hilfsbereit und haben für uns alle Schwulenbars der Stadt durchtelefoniert, um sich nach deren Karaokeequipments zu erkundigen. Wir wurden schließlich an eine kleine Bar verwiesen, die den sprechenden Namen Fill Up trägt und trafen dort auf eine sehr lustige Runde von 8 schwulen Männern, die sich fleißig Longdrinks hinterkippten. Pin vertrug gerade mal einen halben Longdrink und war dann schon so betrunken und müde, dass er rote Flecken am Hals bekam und sich unaufhörlich die Augen rieb. Er schaffte es glücklicherweise aber doch noch hin und wieder, mir die Quintessenz der Barunterhaltung ins Englische zu übersetzen. Die Rechnung, die ich zu Pins Ehrentag alleine beglich, war viel höher als es irgendwie Sinn ergeben hätte, aber das habe ich erst am nächsten Tag nachgerechnet. Pin und ich gingen jedenfalls, weil wir die letzte Bahn verpasst haben, zum schlafen in ein Sentō. Das klingt seltsam, ist in Japan aber ziemlich normal. Man kann sich auch eigene Karaokekammern für die Nacht anmieten, sich in Internetcafés setzen (bzw. legen, die Stühle dort sind meistens ultrabequem), in ein eigentlich für andere Zwecke bestimmtes rabu hoteru (= Lovehotel) gehen oder billigstenfalls in einem McDonalds den Kopf auf eine Handvoll Fritten betten. Die Japaner haben sich da so einige Alternativbetten einfallen lassen, um weder ein teures Hotel noch ein teures Taxi bezahlen zu müssen. Es sind nochmal sehr coole und entspannte Tage gewesen, bevor ich dann am Sonnabend meine Sachen gepackt habe und nach Tōkyō gefahren bin, von wo aus ich dann in zwei Wochen zurück nach Deutschland fliegen werde. Was ich gelernt habe: toire ga arimas ka? (= Gibt es hier eine Toilette?) Was ich hätte brauchen können: Meine Portugiesischkenntnisse, die ich irgendwann mal in der Uni erworben, inzwischen aber verlegt habe. Wen ich grüße: Marina, meine brasilianische Mitbewohnerin in Berlin, an die ich in den letzten Tagen häufiger denken musste. Song des Tages: Let it go von Idina Menzel aus dem Disney-Film Frozen, weil das Lied hier wirklich ständig und überall gedudelt wird und mir ultra auf die Nerven geht. Meine Empfehlung an alle Japaner im Bezug auf dieses Lied: let it go! Dieses Video ist entstanden, als Austin und ich zufällig an der Universität Nagoya in einen Tanzklub oder so etwas ähnliches geraten sind. Cool sah es aber trotzdem aus, auch wenn der Schirm von der Dame im roten Rock eindeutig schrott war.
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Nach inzwischen beinahe 2 Wochen in japanischen Millionenstädten, mussten Lilith und ich endlich raus auf's Land. Schon vor Monaten war für mich klar gewesen, dass ich gerne nach Ine fahren möchte, ein kleines Fischerdorf auf der Tango-Halbinsel an der Nordküste Japans. Es gehört zu den schönsten Dörfern Japans, es gibt dort Fischfang und ergo auch guten, frischen Fisch und Meeresfrüchte. Es gibt Meer und Strände, was ich liebe, aber auch Berge und Wälder, wovon Lilith wiederum großer Fan ist. Außerdem, und das ist vielleicht am tollsten, es ist dort richtig ruhig. Keine Menschen, keine sprechenden Rolltreppen, piepsende Getränkeautomaten, klingelnde Ampeln und singende Katzen.
Lilith und ich haben uns dazu entschieden, nach Ine zu trampen. Das klappte insofern recht gut, als dass wir von Kyoto nach Ine insgesamt nur viereinhalb Stunden gebraucht haben. Schwierig war es allerdings, die entsprechenden Kanji (= die aus dem chinesischen abgeleiteten japanischen Schriftzeichen für alle Hauptwörter) der jeweils nächsten Ortschaft auf unser Schild zu malen. Auf der Autobahnauffahrt Nagaokakyo sind wir losgefahren und haben uns dort von einem recht schweigsamen Mann nach Kameoka (亀岡) bringen lassen. Da hat uns dann eine Grundschullehrerin mitgenommen bis nach Nantan (南丹). Eine jüngere Frau, die uns erzählte, dass sie im Januar ihr erstes Kind erwarte, nahm uns bis nach Kyōtamba (京丹波) mit und dort hielt schließlich ein Mann, der uns fast die gesamte restliche Strecke bis nach Miyazu (宮津) mitnahm, und das, obwohl wir uns kaum mit ihm unterhalten konnten und die ganze Zeit nur mit „sugoi!“ (= dt. „Wahnsinn!“, „Großartig!“) die schöne Landschaft kommentierten. Schließlich fuhr uns eine sehr nette Frau von Miyazu nach Ine (伊根), telefonierte sogar noch mit unserem dortigen Host Alex, ließ uns dann aber schließlich nach dem Telefonat doch den restlichen Weg laufen, was dann irgendwie seltsam war. Das Trampen klappte generell sehr gut, wir haben nirgendwo länger als eine halbe Stunde warten müssen. Wir sind ausschließlich über Landstraßen gefahren (und daher bis auf die letzte Strecke immer nur von Ort zu Ort), was wohl daran liegt, dass für die Autobahn in Japan Maut-Gebühren erhoben werden. All unseren Mitfahrern gaben wir ein Päckchen Maoam, als Dankeschön und als sozusagen-omiayage aus Deutschland. Am frühen Abend kamen wir schließlich bei Alex in Ine an, der sofort etwas seltsam war. Nicht unfreundlich, aber doch wesentlich harscher im Ton, als wir es bisher von Japanern gewohnt waren. Kauft hier Bier!, sagte er uns, als wir an einem kleinen Lebensmittelladen vorbeikamen. Es sollte am Abend ein Essen geben und das Bier sollten wir beisteuern. Kein Problem, wir kauften das Bier, ich fand den Ton aber doch irgendwie merkwürdig. Auf dem Weg empfahl er uns das Ine Inn in Funaya (dem älteren, historischen Teil von Ine), was Lilith und ich nicht ganz checkten, weil wir ja schließlich zwei Nächte bei ihm couchsurfen würden. Schließlich kamen wir bei ihm im Restaurant Nagisa an, außer uns waren noch seine Ehefrau Naomi da, Sachiko, die uns als eine Freundin der Familie vorgestellt wurde und Godo, der auf eine recht charmante Art und Weise bizarr war und pausenlos Joints rauchte. Sachiko fand ich schnell ziemlich super, weil sie eigentlich die absurdeste Person am Tisch war. Mit langen, lackierten Fingernägeln und jede Menge Bling bling an jeder erdenklichen Körperstelle sah sie aus wie die japanische Version einer Neuköllner Prolltussi, erzählte uns aber, dass sie Tiefseetaucherin sei und dass sie all das Essen, was heute Abend serviert würde, selbst im Meer geerntet habe. Außerdem war sie Fischerin und verkaufe ihren Fang jeden Tag auf dem Fischmarkt in Ine. Ich fand sie ziemlich lustig. Godo wiederum erzählte uns, dass er als 16-Jähriger sowohl den US-amerikanischen Schriftsteller Allen Ginsberg, als auch den Musiker Bob Dylan persönlich kennengelernt habe. Wie es zu den Treffen kam, erzählte er uns aber nicht und ich bin mir auch nicht so ganz sicher, ob die Geschichten stimmten. Das Essen war lecker und sehr außergewöhnlich, es gab nämlich allen möglichen Kram, den man im Meer vor Ine so fangen kann: Turbanschnecken, Sashimi (= roh zubereitete und geschnittene Filetstücke) von Seeohren (= auch Abalone genannt, ebenfalls große Schnecken), Einsiedlerkrebse und aber auch etwas, das uns als „chicken“ vorgestellt wurde, aber eindeutig etwas anderes war. Vielleicht chicken-Innereien, ich weiß es nicht. Schmeckte jedenfalls. Zu trinken gab es Bier und Sake, von dem wir noch nicht wussten, dass wir ihn auch werden bezahlen müssen. Das war zwar an sich überhaupt keine große Sache, ebenso wenig wie das Bier, das wir zuvor gekauft hatten, aber ich fand es schlichtweg seltsam, dass Alex uns kommentarlos eine Rechnung hinlegte nach dem Essen. Generell war Alex eher unfreundlich: als Lilith ein Ukulelenkonzert gab, verschwand er in einem anderen Raum und ich hatte auch sonst nicht das Gefühl, dass wir dort von Herzen willkommen waren. Sachiko, Godo und Naomi fand ich allerdings sehr cool und auf jeweils sehr absurde Art und Weise auch ganz unterhaltsam. Wir schliefen schließlich in dem Restaurant selbst auf unseren eigenen Luftmatratzen. Alex machte, als er ging, die Klimaanlage, das W-LAN und das Licht aus. Das ist aus Stromspargründen zwar nachvollziehbar, aber Lilith und ich fühlten uns beide nicht besonders wohl. Am nächsten Morgen fragte ich Alex schließlich, wie man die Klimaanlage bediente, worauf er ziemlich cholerisch reagierte und uns außerdem wissen ließ, dass er grundsätzlich nur eine Nacht hoste und er all seinen Gästen nahe lege, danach für ¥5000 (= 36€) pro Nacht ins schon erwähnte Ine Inn umzuziehen. Machten wir nicht. Lilith legte sich auch kurz noch mit ihm an, dann packten wir unsere Sachen und zogen von dannen. Unser Ziel war erst mal der Strand in dem Dorf Tomari, wo wir den Tag verbringen wollten. Dafür mussten wir durch die Berge wandern, was bei den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit höllisch anstrengend war. Der Ausblick auf das Meer und die Gegend entschädigte allerdings für vieles. Auf halber Strecke, kurz vor dem Dorf Niizaki nahm uns schließlich eine junge Frau mit, die unglaublich gut englisch sprach. Sie hieß Jun, kam aus der chinesischen Stadt Guangzhou in der Nähe von Hongkong und hat einen Japaner geheiratet, mit dem sie hier auf der Tango-Halbinsel wohnt und zwei Kinder hat. Wir verstanden uns auf Anhieb großartig und ich gab ihr eine Tüte von den Waldmeisterbonbons für ihre Kinder mit, die ich extra aus Deutschland mitgenommen hatte, um sie hier zu verschenken. Jun brachte uns zu dem Strand nach Tomari und auf dem Weg erzählten wir ihr, wie es uns in Ine bisher ergangen war. Sie bot uns an, dass wir die Nacht bei ihr im Haus schlafen könnten, sie müsse das nur noch mit Grandma (ihrer Schwiegermutter, der das Haus gehört, in dem die ganze Familie wohnt) und ihrem Ehemann besprechen. Lilith und ich waren hin und weg. Der Tag, der recht bescheiden begonnen hatte, schien doch noch ziemlich großartig zu werden. Wir verbrachten den Tag an dem kleinen Strand, den wir fast für uns alleine hatten, ich holte mir meinen ersten Sonnenbrand und schließlich kam die SMS von Jun, dass Grandma uns bereits ein karē (= Curry) gekocht hatte und Jun uns um halb drei am Strand abholen würde. Wir trampten zurück nach Ine, kauften eine Flasche Sake als Geschenk, trampten wieder zurück und warteten dort auf Jun, die nicht um halb drei kam, weil sie Probleme mit ihrem Auto hatte. Am Strand lernten wir noch einen US-Amerikaner aus Massachusetts kennen, der seit 10 Jahren in Osaka wohnte und dessen japanischen Kumpel. Es war ein ziemlich entspannter Tag und außer den Libellen, die massenhaft über dem Strand umher flogen, hörte man nichts. Am frühen Abend kam schließlich Jun mit ihrer vierjährigen Tochter Aya und ihrem zweijährigen Sohn Chihiro, die beide ebenfalls englisch konnten. Ziemlich beeindruckend sogar, zumal sie ebenfalls Mandarin von ihrer Mutter und Japanisch von ihrem Vater gelernt hatten. Wir fuhren mit den dreien nach Nii, einem Dorf zwischen Tomari und Ine und verbrachten dort den Abend mit Grandmas Curry, Ayas Barbies und der zauberhaften Jun in ihrem hübschen, traditionell japanischem Haus. Aya und Chihiro fuhren total auf Lilith und mich ab und durften an diesem Abend auch trotz offensichtlicher Müdigkeit länger wach bleiben. Hiromi, Juns Ehemann, kam erst spät von der Abend und ging am nächsten Morgen wieder früh aus dem Haus, aber auch ihn durften wir kurz kennenlernen. Grandma verbrachte die Nacht in Ine und überließ Lilith ihr Bett. Ich schlief auf einem Futon im Wohnzimmer und wurde so als Erster am nächsten Morgen von Aya und Chihiro geweckt. Zusammen mit Jun brachten wir die beiden am frühen Morgen in den Kindergarten, wo uns alle ziemlich aufgeregt empfingen. Ich fand es andersrum aber mindestens genauso spannend, denn es ist schon sehr besonders, so einen intimen Einblick in das Familienleben von Jun und ihrer Familie zu bekommen. Jun nahm sich noch den Vormittag frei um mit Lilith und mir die natürliche Landbrücke Amanohashidate zu besichtigen, eine der drei schönsten Landschaften Japans. Wir wurden von einem starken Regen überrascht, hingen dann erst auf der Landbrücke selbst in einem Pavillion und später in einem Café im westlichen Stil in dem Ort rum und unterhielten uns mit Jun über die Apfelkuchenrezepte unserer Mütter, über die unfassbare Niedlichkeit von Juns Kindern und über einen hoffentlich baldigen Urlaub der Familie in Berlin. Dann brachte Jun uns zum Bahnhof und Lilith und ich fuhren über tausend Umwege (es gab wohl starke Regenfälle in den bergen, weshalb einige Strecken nicht befahrbar waren) zurück nach Kansai. Ich zu Vladymir nach Kobe, sie nach Himeji. Was wir gelernt haben: Nicht alle Japaner sind höflich, hilfsbereit, zuvorkommend und unglaublich nett zu uns. Aber fast alle. Was wir hätten brauchen können: einen Gin-Tonic-Automaten am Strand von Tomari Wen ich grüße: Anne-Marie, an die ich oft denken musste, während Lilith und ich durch die Präfektur Kyoto trampten, weil wir vor einigen Jahren mehrere Wochen lang gemeinsam durch Benelux getrampt sind. Song des Tages: Die japanische Version des Disney Songs Under the sea - weil die Melodie auf Bahnhöfen als Durchsage-Jingle benutzt wird. Und weil's thematisch grad so gut passt. Das Wetter in Japan ist schwer zu begreifen. Entweder regnet es in Strömen, was halb so schlimm ist, weil es dann nicht so warm ist. Oder es ist eben warm. So warm und schwül und feucht, dass ich manchmal nach dem Duschen schon wieder schwitze, bevor ich mir neue Klamotten angezogen habe.
Die Japaner hingegen sehen alle wie aus dem Ei gepellt aus, denn sie haben einige Tricks. Zum einen trägt jeder ein Schweißtuch mit sich herum, mit dessen Hilfe man zumindest im Gesichts- und Halsbereich einigermaßen Fassung bewahren kann. Dann tragen vor allem die Japanerinnen bei Sonne und bei Regen immer einen Schirm oder einen Fächer mit sich herum. Bei Sonne tragen viele sogar lange Handschuhe, damit ihre Haut nicht braun wird. Zudem ist wirklich fast jeder öffentliche Raum und jedes Verkehrsmittel klimatisiert und Getränkeautomaten gibt es in den Innenstädten ungefähr alle zehn Meter. Mein täglicher Jutebeutelinhalt besteht daher aus Adapter, Kompass (Das GPS auf meinem Samsung Galaxy funktioniert hier nämlich nicht), Reisezahnbürste, Zahnpasta, einem kleinen Deo, meinem Lonely Planet, sämtlichen zerfledderten Stadt- und U-Bahnplänen, einem Notizheft (u.a. für die Stempel, die man sich bei jeder Sehenswürdigkeit holen kann), einer kleinen Tube Sonnencreme, Mückenspray und einem Schweißtuch aus Frottee, das mir Vladymir geschenkt hat. Schweißtuch klingt ziemlich ekelig, ich leide aber wirklich sehr viel weniger unter der Hitze, seit ich es habe. Lilith und ich haben unser Domizil mit Fluss- und Schlossblick in Osaka jedenfalls verlassen und sind weiter nach Kyoto gefahren. Hier sind wir bei Shoji untergekommen. Er hat ein ganzes Haus in Ishidaoyama (U-Bahn-Station Ishida auf der Tōzai-Linie), also weit südöstlich der Kyotoer Innenstadt, in dem ungefähr 10 Couchsurfer in Futonbetten Platz finden. Zur Zeit schlafen hier außer mir nur Frauen, und zwar 2 Spanierinnen, 3 Französinnen, eine US-Amerikanerin, eine Polin und natürlich Lilith. Die Wände sind bemalt mit Grüßen von Couchsurfern aus allen möglichen Ländern, die schon mal irgendwann in Shojis Futonbettenburg gelegen haben. Den Kritzeleien nacht schätze ich, dass hier in den letzten sechs Jahren sicherlich 1500 Touristen umsonst eine Bleibe gefunden haben. Es ist zwar nicht ganz so privat wie bei Yuko in Osaka, dafür ist es auch mal schön, sich mit Leuten zu unterhalten, die selbst gerade durch Japan reisen. Die meisten sind zum Beispiel schon in Tokyo gewesen und von da aus nach Kyoto gekommen und können uns, die wir in Osaka gelandet sind, wertvolle Tipps geben. Es gibt bei Shoji kein W-LAN und auch bei den verschiedenen Combinis in Kyoto scheint man nicht einfach so das Netz benutzen zu können, wie in Osaka. Schnell fiel uns auf, dass in Kyoto wesentlich mehr westliche Touristen herumlaufen als in Osaka und Kobe. Das kann vor allem auch am Daimon-ji Gozan Okuburi liegen, das am Sonnabend stattfand. Dabei werden auf den 5 Bergen oberhalb der Stadt große Feuer in der Form von japanischen Zeichen entzündet. Wir standen ungefähr dort, wo die Flüsse Kama-gawa und Takano-gawa ineinander fließen, dank des schlechten Wetters (es war bis kurz vorher nicht klar, ob die Feuer überhaupt entzündet werden) und der drängelnden Menschenmassen war unser Daimon-ji allerdings eher ein mittelmäßiges Erlebnis. Mein inzwischen schon sehr lädierter Lonely Planet sagt, dass Kyoto kulturell genauso bedeutend ist wie London, Paris und Rom. Da ich in den drei anderen Städten noch nicht gewesen bin, kann ich schwer beurteilen, ob das stimmt, aber schon an unserem ersten Tag in Kyoto war ich ziemlich fasziniert von der Schönheit der Stadt. Lilith und ich haben uns gegen Mittag erstmal auf den Weg zu einer Bar am anderen Ende unserer Straße gemacht, die uns eine der Spanierinnen empfohlen hat, weil die Leute dort bereitwillig ihr W-LAN-Passwort rausrücken. Dann sind wir schließlich nach Higashiyama gefahren und dort zum Nanzen-ji-Tempel gelaufen, der uns ebenfalls von der Spanierin empfohlen wurde. Als ob das Gelände mit dem Tempel, all den Nebenschreinen und einem steinernen Aquädukt nicht schon eindrucksvoll genug gewesen wären, führte im Osten ein kleiner Waldweg den Berg Higashiyama hinauf. Durch all die kleinen Torii und Schreine, die an dem Weg herumstanden, wirkte der Wald ziemlich märchenhaft und unwirklich. In einem Wasserfall nahmen Lilith und ich spontan eine kalte Dusche, ohne zu wissen, ob wir damit nicht vielleicht gerade irgendwelche Shintō-Heiligtümer schändigen. Allerdings stehen vor sämtlichen Tempeln Bottiche mit hölzernen Suppenkellen herum und es scheint Ritual zu sein, sich mit dem Wasser Hände und Gesicht zu waschen, bevor man die Gebäude betritt. Eine Dusche in einem heiligen Wasserfall kann demnach nur im Sinne aller Shintō-Waldgeister sein. Der Ort heißt übrigens Nanzen-ji Oku-no-in Vom Nanzen-ji-Tempel aus gingen wir nach Norden über den Tesugaku-no-Michi (= Philosophenweg), der an einem Kanal entlangführt und tatsächlich eine ganz gute Strecke ist, um über Gott und die Welt und die Daheimgebliebenen in Deutschland nachzudenken. Wir hatten einen schönen Blick über die angrenzenden Stadtviertel und alle paar Meter begegneten uns irgendwelche Katzen, die in der Sonne rumhingen und von Touristen gestreichelt werden wollten. Vielleicht sind es aber auch einfach bloß sehr nachdenkliche Viecher. Am Abend besuchte uns Shoji in unserem Haus, wir hatten ihn bis dahin noch gar nicht getroffen. Ich finde es auf eine positive Art ziemlich verrückt, dass er hier tagein tagaus Touristen aus aller Welt beherbergt. Weil die 5 der 8 Frauen heute nach Nara weiter gereist sind, wohne ich nun alleine in dem Zimmer im Untergeschoss, während Lilith mit den beiden anderen in dem großen Raum oben schläft. Für die restliche Zeit in Kyoto habe ich nun also mein eigenes Privatgemach in einem alten japanischen Haus. Ziemlicher Luxus. Am Tag darauf fanden Lilith und ich mittags ein offenes W-LAN-Netzwerk in einem ganz hübschen Café, das zum Gojo Guesthouse gehört. Weil Hostels und Guesthouses generell immer W-LAN anbieten, saßen wir am selben Abend übrigens auch noch in der Sakebar des JAM Hostels am Rande vom Kyotoer Innenstadtteil Gion. Wir machten uns schließlich am frühen Nachmittag auf den Weg durch das südliche Higashiyama, indem wir erstmal über einen beeindruckenden, riesigen Friedhof liefen, der sich über den ganzen Berghang erstreckte. Der Friedhof lag zwar eher zufällig auf unserem Weg, war aber trotzdem mit der beeindruckendste Anblick in Kyoto. Schließlich gelangten wir zu den Tempelanlagen von Tainai-meguri, die ich vor allem schön fand, weil durch die umliegenden Straßen mit Souvenirshops, Süßigkeitenläden und Eisdielen bei mir fast ein bisschen Jahrmarktsgefühl aufkam. In der Chawan-zaka (= laut Lonelyplanet die „Teepottstraße“) haben wir uns einmal durch Probierauslagen der Süßigkeitenläden gefressen, bis uns etwas übel war vor lauter mochi (= mit süßer Bohnenpaste gefüllte Reiskugeln). Wir sind dann noch durch irgendwelche kleinen Straßen gelaufen, von denen behauptet wurde, sie seien eine der schönsten ganz Kyotos und natürlich standen da dann auch Geishas rum, denn was wäre das denn sonst für eine schönste Straße? Die westlichen Touristen (ja, wir auch) holten die langsam trippelnden, blassen Mädchen natürlich schnell ein und umzingelten sie schließlich so papparazziesk in irgendeiner historischen Straßenecke, dass sie mir sehr leid taten. Und obwohl sie gar nichts Spannendes taten außer etwas verlegen zu lächeln, fand ich sie auch sehr schön und faszinierend. Und im Grunde trifft das auch auf ganz Kyoto zu: pretty but boring. Das Problem an Kyoto ist nämlich die Kyotokratie. Kyoto bestimmt, was du während deines Aufenthaltes hier machst. Und Kyoto macht dir auch die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen mit seiner Schönheit, wenn du auch nur eine bildhübsche, historische Dachpfanne auslässt. Und konsequenterweise bietet Kyoto dann trotz seiner anderthalb Millionen Einwohner auch außer Kultur nur wenig Ablenkung. Es gibt in Kyoto, zumindest so weit ich das überblicken kann, verhältnismäßig wenig Cafés, Bars, Clubs, Einkaufsstraßen oder Shoppingmalls. Die Viertel Gion und Kawaramachi, die direkt an den Fluss grenzen, sind da vielleicht die einzigen Ausnahmen. Am Abend landete ich, inzwischen völlig übertempelt und kurz vor der Räucherstäbchenüberdosis, in einer Karaokebar namens Barcode, die die ganze Nacht über nur von den zwei philippinischen Freunden des ebenfalls philippinischen Barkeepers und einem uralten Japaner besucht wurde. Ich wäre sehr frustriert gewesen und hätte mich vermutlich spätestens nach dem fünften philippinischen Karaokesong freiwillig im Kanagawa ersoffen, wenn ein Moscow Mule nicht für unschlagbare ¥500 (= 3,67€) zu haben gewesen wäre. (Das vor allem importierte Flaschenbier kostete dagegen ¥700, also 5,13€. Als Repräsentant der deutschen Bierbrauzunft war übrigens Schöfferhöfer auf der Karte vertreten.) Am nächsten Mittag besichtigte ich erst alleine den Tōji-Tempel und die dazugehörige fünfstöckige Pagode, die die höchste von ganz Japan ist. Danach traf ich Lilith an der Haltestelle Inari, um mir mit ihr die dortigen Torii (= japanischen Schreintore) des Fushimi Inari-Taisha anzuschauen, der einem Fuchs gewidmet ist oder einem sehr coolen Gott, der aussieht wie ein Fuchs. Diese Torii sehen ziemlich lustig aus, weil sie als kilometerlanges, rotes Spalier den Berg hinaufführen und sind als Touristenselfiemotiv vermutlich eine ähnlich innovative Kulisse wie das Stelenfeld der Holocoust-Gedenkstätte in Berlin. Auf dem Weg nach oben lernte ich bei einer heimlichen Raucherpause (auf Tempelgeländen und allen heiligen Stätten ist Rauchen noch verbotener als überall sonst) den US-Amerikaner Ryan kennen, der eigentlich auf großer Südkoreareise war und dann aber doch irgendwie in Kyoto gelandet ist und sich freute, einen Qualmkomplizen gefunden zu haben. Wir sammelten auf halber Strecke Lilith ein, die sich wieder mal von irgendwelchen Katzen hat ablenken lassen, erklommen schließlich zu dritt den Berg, schwitzen wie drei Mastschweine und verirrten uns schließlich auf dem Weg zurück ins Tal. Und das soll uns erst mal einer nachmachen, wenn der Weg eigentlich ununterbrochen von roten Holztoren gesäumt ist. Ryan verloren wir jedenfalls irgendwo zwischen dort und Gion, wo Lilith und ich am Abend in einem sehr entzückendem Izakaya zu Abend aßen und unsere Gerichte nach dem Prinzip auswählten „Hab' ich noch nie gegessen und noch nicht mal darüber nachgedacht, ob man das überhaupt essen kann, aber wenn nicht jetzt, wann dann?“ So fanden an diesem Abend noch Quallen, Seeigel, ein ganzer Fisch mit Flossen und Schuppen, allerlei frittiertes Irgendwas und der Sake, den uns der Steuerberater Inui und der Rentner Gen spendierten, den Weg in unsere Mägen. Wir verpassten schließlich knapp die letzte U-Bahn, fuhren daher mit einer anderen Bahn in unsere grobe Richtung und stiegen schließlich in ein Taxi, das uns zu Shojis Haus brachte, das wir in der letzten Nacht komplett für uns alleine hatten. Kyoto erinnert mich übrigens irgendwie an Amsterdam. Alles ist verdammt bezaubernd und beeindruckend und genauso, wie man es sich in seinen besten Klischees nicht hätte vorstellen können. Aber ich mag halt Rotterdam lieber. Was wir gelernt haben: Die letzte U-Bahn fährt um 23:58. Nicht um Zwölfuhrirgendwas. Was wir hätten brauchen können: Bestimmt weitere zehn Tage, um auch nur ansatzweise alle Tempel und Schreine anschauen zu können. Wen ich grüße: Joana, die mir den Kompass zum Geburtstag geschenkt hat. Christina, die mich einen Tag vor meiner Abreise noch an Mückenspray erinnert hat. Und Silke, die mir ein hochwirksames Deo organisiert hat. Song des Tages: 99 Luftballons von Nena (weil mich die Philippiner in der Karaoke-Bar darum baten, ihnen zu erklären, worum es in dem Song geht. Als dann nach meiner Erklärung alle ultrabeeindruckt waren, war ich es irgendwie auch.) Am Mittwoch bin ich zusammen mit Vladymir, einem in Japan lebenden, aber aus den Philippinen stammenden US-Amerikaner, seiner japanischen Freundin Ai (Spitzname: Ai-chan) und deren unglaublich zauberhafter Tochter Su-chan in ein Schwimmbad in der Nähe des Bahnhofs Tamatsukuri in Osaka gegangen. Dort trafen wir zufällig Javi, einen puertoricanischen Freund von Vladymir, und dessen japanischen Freund. Das Schwimmbad war zwar an sich ziemlich witzig (und wesentlich erfrischender als die kochend heißen Sentōs), allerdings war so ziemlich alles verboten, was Spaß macht: man durfte kein Bier trinken, nicht rauchen, nicht tauchen, und wegen der maximalen Wassertiefe von einem Meter auch nicht vom Beckenrand springen. Auch Sonnencreme durfte man nur in einem bestimmten Bereich auftragen, wenn ich das Gemotze des Bademeisters richtig interpretiert habe. Man durfte also eigentlich nur im Wasser planschen. Lustig fand ich allerdings, dass alle viertel Stunde alle Badegäste aus dem Becken steigen mussten, weil das Wasser dann komplett gereinigt wurde.
Mit Vladymir verbrachte ich schließlich meine gesamte restliche Zeit in Osaka. Ich mochte ihn, weil er so happy, shiny, all american dreamy ist. Mich fand er andersrum so outside the box europäisch und old-fashioned tiefsinnig. Das trifft es zwar natürlich nur oberflächlich, aber als gaijin (= Einwohner westlicher Länder oder im engeren Sinne Menschen mit weißer Haut) in Japan bleiben solche bekloppten Stereotype eben irgendwie nicht aus. Man ist sich hier eben ständig seiner Andersartigkeit bewusst und zwangsläufig ist genau das dann auch ständig Gesprächsthema. Ich fuhr jedenfalls noch einmal mit Vladymir und Ai-chan zu dem Partystrand nach Suma, wo ich von den Japanern dafür bewundert wurde, dass ich von einem kleinen Kai einen Kopfsprung ins Wasser machen konnte. (Ich überredete einige von ihnen, es mir nachzutun und so gab es an diesem Tag noch einige vom Aufprall schmerzende Bäuche und Gesichter). Außerdem lernten wir dort Haruna kennen, die eine Weile in Kanada gelebt hatte und uns ihre Lautsprecher auslieh um unsere eigene Strandparty mit der Musik von meinem Handy zu veranstalten (Lili Marleen von Lale Andersen kam überraschend gut an). Vladymir und ich besichtigten am Tag darauf zu zweit den Hyogo Daibutsu in Kobe (ein weiterer großer Buddha) und zusammen mit Ai-chan den eindrucksvollen Hafen von Kobe. Wir aßen fritierte Austern und Garnelen, die man dort zu Spottpreisen bestellen konnte und hingen rund um die Uhr miteinander rum. Es war wirklich schön und vor allem so herrlich unkompliziert. Ich fand es vielleicht einfach angenehm, mal wieder eine Sprache zu sprechen, in der ich mich halbwegs eloquent verständigen kann. Ich weiß außerdem gar nicht, ob Vladymir unter anderen Umständen mein Typ gewesen wäre, denn er ist bloß einen Meter kylieminogue groß und wir sehen nebeneinander unglaublich bescheuert aus. Aber er hat Urlaub (er arbeitet eigentlich als Englischlehrer in einer Vorschule in Kobe) und ich habe Urlaub und wir hatten beide Lust auf eine Urlaubsromanze. Das Tolle an Urlaubsromanzen ist ja, dass man quasi 60 Jahre Ehe in vier Tagen durchspielen kann und ungefähr das haben Vladymir und ich auch gemacht. Am Freitag habe ich, nachdem ich seine Freunde ja bereits kennengelernt hatte, ihn mit zu Yukos Geburtstagsparty im River & Castle side space mitgenommen. Lilith, die ich zu Vladymirs Gunsten die letzten Tage total vernachlässigt habe, trug bereits einen aufwendig gebundenen Yukata, den Yuko ihr geliehen hatte. Vladymir und ich hatten in Shinsekai, einem alten Stadtviertel von Osaka nördlich des Bahnhofs Tennō-ji, einen Kuchen und Geburtstagskerzen gekauft und noch schnell auf deutsch „Zum Geburtstag viel Glück!“ eingeübt. In Shinsekai hatten Vladymir und ich auch unser erstes romantisches Obdachlosen-candle-light-dinner: mit 2 onigiri (= Reisbällchen mit Füllung), zwei Bier und einer kleiner Geburtstagskerze unter dem Tsutenkaku Tower während es in Strömen regnete. Wir tranken Bier („biru mitsu o-kudasai!“), unterhielten uns mit Yukos Freunden so gut es eben ging und schossen so viele Selfies und Gruppenfotos, dass ich nun nach Lady Di die meistfotografierte Person der Welt bin oder so. Wir waren jedenfalls ziemlich cute und gutgelaunt. Zu dritt zogen Lilith, Vladymir und ich weiter nach Umeda, aßen in einer japanischen Fastfoodkette, deren Namen ich zurecht vergessen habe und sangen schließlich wieder im L'ecca Karaoke. Von da an ging irgendwie alles schief. Kurz zusammengefasst war es so: Vladymir baute Scheiße, ich war beleidigt und die Urlaubsromanze war wieder vorbei. Ich schwieg, er heulte, obwohl natürlich alles total locker und luftig sein sollte. Aber Urlaubsromanzen sind in sich komplett irrational angelegt. Man kommt zusammen, um wieder auseinander zu gehen. Und auseinander bedeutet in diesem Fall, dass Lilith und ich am Sonntagnachmittag mit dem Zug nach Kyoto gefahren sind. Was wir gelernt haben: Weißer Traubensaft mit Aloe Vera Stückchen ist die beste Wahl an japanischen Getränkeautomaten. Alles, was wie Eistee aussieht, könnte auch kalter Kaffee sein. Was wir hätten brauchen können: Wechselwäsche. Man kann ja vorher nicht ahnen, dass man drei Tage lang mit Nonstop-Verknalltsein beschäftigt sein wird. Wen ich grüße: Tiago, meine Lissabonner Urlaubsromanze von 2007. Song des Tages: Somewhere only we know von Keane (habe ich dank der Karaokemaschine wiederentdeckt und fast geheult) Lilith spielt im Yukata ein Ukulelenkonzert für Yuko, unsere Gastgeberin in Osaka Den versprochenen Taifun haben Lilith und ich überlebt, besser noch: verschlafen. Die ganze Nacht von Sonnabend auf Sonntag waren alle Menschen in Osaka in ängstlicher Erwartung auf den Taifun, der dann im Endeffekt erst am Sonntagmorgen in Osaka ankamen. Lilith und ich haben die Nacht unterdessen mit den Jungs aus der Miki-Bar durchgemacht, zusätzlich zu Joshi, Tomo und Toshio war diesmal auch Keiko, eine Japanerin mit einer ausgeprägten Affinität für kawaiie (= niedliche) Frösche und Koji dabei, der den Spitznamen The Beast trug. Wir sollten später erahnen können, warum. Nachdem wir in der Miki-Bar wieder ausgiebig gegessen und getrunken haben und mal wieder nicht bezahlen durften, beschlossen wir trotz Taifunwarnung nach Umeda zu fahren und dort feiern zu gehen. „Tanzen, trinken, rauchen“ - ungefähr so hatte ich umschrieben, was ich mir von der Nacht erwartete. Die Gruppe Japaner brachte uns daraufhin in den Gold Platinum Club Osaka, einer high class Diskothek mit gesalzenen Preisen, die sich in dem obersten Geschoss einer Shopping-Mall befand. Es wurde beinahe ausschließlich US-amerikanische Popmusik gespielt und auch die Diskothek selbst war das wahr gewordene Klischee eines exquisiten Klubs in irgendeiner westlichen Großstadt. Es war mehr als seltsam, zumal unsere japanischen Bekannten sich bis zu diesem Zeitpunkt geweigert hatten und auch im restlichen Verlauf des Abends weigern würden, uns auch nur mit einem Yen an den exorbitanten Kosten zu beteiligen. Ich, der deutsche Buddelpartys und geteilte Rechnungen gewöhnt ist, bekam ein schlechtes Gewissen. Am bizarrsten war es allerdings, dass der Gold Platinum Club außer uns von gerade mal 5 weiteren Personen besucht wurde und nochmal ebenso viele Kellner durch den schwarzen Klub schlichen. Irgendwie schafften wir es dann aber doch, Spaß zu haben, hauptsächlich auch, weil The Beast auf der Tanzfläche eine beeindruckende Breakdance-Performance aufführte. We just went wild, so gut es eben ging zumindest. Schließlich schloss der Klub und wir zogen weiter in die minimikrokleine Schwulenbar L'ecca, die unsere japanischen Bekannten für uns ausfindig machten, nachdem ich ihnen erzählt hatte, dass ich schwul sei. Ich bin mir auch nicht so ganz sicher, ob das positiv oder negativ aufgenommen wurde, die Stimmung schwankte zwischen belustigt und überrascht. Das L'ecca kam dann einer Berliner Partynacht am nächsten, wenn auch nicht unbedingt wegen westlicher Einrichtung oder Musik. Es gab eine Karaoke-Maschine, von der Lilith gekonnt gebraucht machte und großen Applaus erntete und auch ich sang mit einem älteren Japaner My heart will go on von Celine Dion. Man kann sich wohl ungefähr vorstellen, wie bezaubernd das war. Dass wir zu komplett allen Getränken, Taxifahrten und Eintritten eingeladen wurden, änderte sich übrigens nicht. Nur im Gold Platinum Club schafften wir es zwischendurch mal eine Runde Sake zu bestellen, die aber als mit Wasser verdünnter Whiskey missverstanden wurde. In den darauffolgenden Tagen machten Lilith und ich unsere ersten Tagesausflüge. Inzwischen bewegen wir uns schon etwas sicherer durch Japan, die gängigsten Floskeln haben wir schon drauf (Wakarimasen = Das verstehe ich nicht. Doitsu-jin desu = Ich komme aus Deutschland. Sugoi! = Großartig! Kampai! = Zum Wohl!) und auch der in Japan herrschende Linksverkehr findet von Tag zu Tag mehr Verständnis in meinen Gehirnsynapsen. Das ständige Schuhe an- und ausziehen ist eigentlich nur mit Flip-Flops oder Ballerinas zu meistern, Schnürschuhe treiben einen da wirklich zur Weißglut. Und auch von den vielen Verbeugungen werde ich sicherlich nach 5 Wochen einen Rückenschaden davon tragen. Viele japanische Gewohnheiten gefallen mir aber auch außerordentlich gut. Zum Beispiel die Höflichkeit, das ständige Aufeinander-Rücksichtnehmen. Das liegt mir nun zwar eigentlich eher nicht so im Blut, aber es hat doch sehr etwas für sich, dass alle immer so unheimlich nett zueinander sind. Ich werde mir Mühe geben, mir das etwas für Berlin zu merken. Ich hatte die Nacht davor im Frenzy Frenz durchgemacht, einer Schwulenbar in Umeda, die von einem sehr freundlichen Exil-Australier betrieben wird und von Ausländern und ausländerfreundlichen Japanern besucht wird. Das Frenzy Frenz war insofern ein guter Anlaufpunkt, als dass es dort schnelles W-LAN gibt. Außerdem liegen an der Theke Aufladekabel für alle möglichen Handys herum. So unkompliziert gibt es das sonst nur in und vor den Combinis (convenient store = Späti) der Stadt. Am Tag darauf ging unser erster Tagesausflug ging bei sengender Hitze nach Nara. Trotz meines Katers war es dort sehr schön, auch wenn ich mir die alte Kaiserstadt irgendwie kleiner und pittoresker vorgestellt hatte. Trotzdem: die vielen Tempel, Pagoden und vor allem der unglaublich große Daibutsu (= Buddhastatue) im Tōdai-ji-Tempel haben uns nicht enttäuscht. Unerwartete Highlights in Nara waren der unglaublich schöne Isui-en-Garten mit seinem traditionellen Teehaus und das Café Shalom, das von einer ganz bezaubernden älteren Japanerin mit ausgeprägtem England-Fimmel betrieben wird. Die Inneneinrichtung ist etwa im Stil englischer Landhäuser, die Speisekarte ist japanisierte italienische Küche und die Preise sind im Vergleich zu den Touristenrestaurants von Nara unschlagbar günstig. Wie genau das hebräische Wort Shalom zum Namensgeber wurde, konnten wir allerdings nicht herausfinden. Den Dienstag haben Lilith und ich in Kobe verbracht und uns zuerst mal ordentlich gefetzt, um uns dann aber auch direkt wieder zu vertragen. Dass das passiert, war zwar zu erwarten, wenn man rund um die Uhr aufeinander hockt, aber schließlich haben wir doch innerhalb einer halben Stunde alle Meinungsverschiedenheiten aus der Welt geräumt. Der Streit fand in den verwinkelten Straßen von Kitano statt, wo unter anderem ein Dänemarkhaus, ein Österreichhaus und ein Hollandhaus rumstehen, ein Deutschlandhaus konnten wir allerdings nicht finden. Das Viertel ist so eine Art Eurotown und auch in den Souvenirläden wird europäisch anmutender Kitsch verkauft. Als Europäer ist das auf der einen Seite zwar irgendwie unspannend („Oh schau, ein Backsteinhaus mit einem Wetterhahn auf dem Dach!“), auf der anderen Seite ist es schon witzig zu sehen, woraus japanische Europaklischees dann im Detail bestehen. Die Einrichtung im Hollandhaus zum Beispiel war vom Stil her eher dem 17. Jahrhundert entlehnt und auch das ausladende Spitzenbrautkleid auf dem Bett oder die bis zum Rand mit europäischen Geldscheinen gefüllte Schatzkiste habe ich so noch in keinem modernen holländischen Haushalt gesehen. Von Kitano aus sind wir nach Osten gelaufen in Richtung eines großen Geländes, an dem mehrere Sake-Brauereien stehen. Unser eigentlicher Beweggrund war, dass im Lonely Planet stand, dass der Eintritt zu dem Sake-Museum, das sich ebenfalls irgendwo dort befinden soll, umsonst ist und dass man bei Bedarf auch noch Sake verköstigen darf. Mit der Hilfe von einigen Wachleuten, die auf dem Gelände rumstanden, als hätte man sie nur für uns dahin gestellt, fanden wir den Weg dann auch und mussten uns ein 10-minütiges Video über die Herstellung von Sake reinziehen, bevor wir endlich an die Free Shots kamen. Gegen frühen Abend sind wir zu Kobes Partystrand nach Suma gefahren, wo japanische Jugendliche gerade ihre Sommerferien mit Bier begossen. Man kann sich das Ganze vorstellen als eine Mischung aus US-amerikanischem Summer Break, Ibiza und Full Moon Party in Thailand vorstellen. Ziemlich schnell wurden wir von Neil, einem älteren Australier, entdeckt und an einen Tisch in einer Strandbar eingeladen, in der neben zwei japanischen Mädchen und Mamad, einem Iraner, auch eine Handvoll japanische Feuerwehrmänner saßen, die genauso gut auch Schauspieler bei Baywatch hätten sein können. Obwohl es eigentlich unser Plan war, zeitig nach Osaka zurückzufahren, haben wir uns auf ein Asahi nach dem anderen einladen lassen und sind schließlich, als sich der Strand leerte, mit Shoichi und Ryunosuke nach Sannomiya (sozusagen Downtown Osaka) weitergezogen. Dort wiederholte sich gewissermaßen der vorherige Abend. Trotz Sprachbarriere saßen wir stundenlang miteinander in einem Separée in dem hinteren Teil eines japanischen Restaurants herum, die beiden Jungs bestellten massenhaft geiles Essen, wovon mir besonders die Bergkartoffeln wegen ihrer komischen Konsistenz und die Leberspieße in Erinnerung geblieben sind. Dass ich kein gorufurendu (= girlfriend) habe und auch generell boifurendus besser finde, sorgte auch an dem Abend für ziemlich merkwürdige Reaktionen: sie fragten einfach so häufig, ob ich ernsthaft schwul sei, bis sie beschlossen, es zu ignorieren. Am Ende kratzten die beiden Jungs, die selbst nicht älter waren als wir, ihre letzten Kröten zusammen und ließen uns partout nichts zu der Rechnung beisteuern. „Japanese style!“ war ihr magischer Imperativ, mit dem sie jeden Yen von uns ausschlugen, und was genau German style sei, wollte sowieso auch keiner wissen. Ryunosuke ging dann plötzlich ohne sich zu verabschieden, was etwas seltsam war und auch so gar nicht der feine englische style. Sho wiederum ließen wir betrunken wie tausend Russen am Bahnhof Sannomiya zurück, weil wir unseren letzten Zug nach Osaka bekommen mussten. Was wir gelernt haben: Karaoke singt man entweder mit Inbrunst oder gar nicht Was wir hätten brauchen können: Entweder mehr Durchsetzungskraft beim Bezahlen der Rechnungen oder mehr Gelassenheit beim Eingeladenwerden Wen ich grüße: Meine beiden Großmütter. Weil in Japan gerade Obon ist, das Laternenfest, zu dem alle Japaner in ihre Heimatdörfer fahren (was ich gerade nicht tun kann) und ihren Vorfahren gedenken. Das tue ich hiermit. Song des Tages: Dancing Queen von ABBA (war der absolute Renner in der Karaoke-Gaybar) Der Partystrand von Suma in Kobe
Für die, die es wirklich interessiert: es regnet in Strömen in Osaka. Am Wochenende soll es sogar einen Taifun geben, zumindest sagen das die drei Japaner, die wir gestern in einer Bar kennengelernt haben.
Lilith und mir ist das Wetter aber gerade noch ziemlich jacke, denn wir sind noch ausreichend damit beschäftigt hier alles verdammt großartig zu finden. Vor inzwischen 36 Stunden sind wir in Hamburg in unseren Emirates Flieger gestiegen und ich habe mir, um ehrlich zu sein, etwas Sorgen gemacht. Mir ist auf der einen Seite mulmig, wegen der traurigen Nachrichten über Flugzeugabstürze, die uns in den letzten Wochen erreicht haben. Zum anderen habe ich mir koscheres Essen gebucht (eigentlich nur, weil gehofft hatte, dass Extrawürste schneller serviert würden und besser schmeckten) und vor 4 Monaten nicht darüber nachgedacht, dass koschere und halale Fresspakete zurzeit auch fast ein politisches Statement sind. Ziemlich cool war allerdings, dass das koschere Essen echt 50 mal versiegelt wurde, nachdem es die segnenden Hände irgendeines Londoner Rabbis verlassen hat und erst unter meinen fake-koscheren Augen wieder von den netten Stewardessen wieder geöffnet wurde. Nach knapp 7 Stunden Flug (und unter Umfliegung der Lufträume der Ukraine und des Irak) kamen wir in Dubai an und ich mir dort für 40 Arabische Dirham pro Stange Zigaretten (= 16 Euro) einen gesamten Monatsvorrat an Glimmstengeln zugelegt. Unser Flug nach Osaka hatte Verspätung, aus operational reasons, was auch immer das bedeuten mag. Um 18 Uhr japanischer Zeit kamen Lilith und ich dann schließlich leicht zerknüllt und gereizt am Kansai International Airport an. Unsere erste Amtshandlung bestand darin, uns ohne nennenswerte Englischkenntnisse auf der einen und ohne nennenswerte Japanischkenntnisse auf unserer Seite den Weg zu unserer ersten Couchsurferin erklären zu lassen. Das hat nur so ungefähr eine Stunde in Anspruch genommen, was man als Erfolg werten kann. Dann mussten wir das beste (= günstigste) Ticket für Osakas Öffentlichen Nahverkehr ausfindig machen, was dank einer sehr netten japanischen Lady, die ausgezeichnet Englisch sprach, innerhalb weniger Minuten erledigt war. Wir haben uns für die ICOCA-Karte entschieden, die wie eine Prepaidkarte funktioniert und erstmalig ¥ 2000 (= 14,30€) kostete. Man lädt Guthaben darauf, welches jeweils von der Karte abgebucht wird, sobald man sich nach einer Fahrt durch die elektronische Absperrung am U-Bahn-Ausgang bewegt. Vorteil: man muss vorher einfach nicht mehr darüber nachdenken, mit welcher Linie man jetzt wo hinfährt und ob man nicht vielleicht in die Linie eines anderen Anbieters umsteigen möchte. In der U-Bahn fiel mir zuallererst auf, dass mir im Grunde gar nichts auffiel. Die Osakaner waren nicht irgendwie bunt und zuckersüß und hellokittyesk gekleidet, wie ich es vielleicht befürchtet hatte. Eigentlich sahen sie aus wie U-Bahn-Gäste in Berlin eben auch aussehen. Schließlich kamen wir um 21 Uhr bei Yuko an, die eine kleine Bar betreibt, die sich River and Castle side space nennt und einen wunderschönen, wenn auch verregnet Blick auf genau ebendiese Sehenswürdigkeiten bietet: das Osaka Castle, einen Seitenarm des Flusses Yodo und die imposante Wolkenkratzer-Skyline am anderen Ufer. Jetzt ist es offiziell: wir sind in Japan. Das Konzept von Yukos Bar ist denkbar einfach: allabendlich kommen eine Hand voll japanische Freunde von Yuko vorbei, dann noch die westlichen Touristen, die gerade in den Futonbetten im Zimmer nebenan schlafen (= wir) und die lernen sich dann bei Asahi Bier und Sake kennen. Die Preise sind moderat, wie generell bisher eigentlich alles recht bezahlbar war in Osaka. Dass es trotzdem die zweitteuerste Stadt der Welt nach Tokio sein soll, kann ich also gerade irgendwie nicht bestätigen. Die ersten Biere in Japan tranken wir jedenfalls in freundlicher Gesellschaft von unserer Gastgeberin Yuko, einem Yoichi, der erschreckend gut „Schön, dich kennenzulernen!“ auf deutsch sagen konnte, einer jungen Frau namens Saki, die völlig hin und weg von Lilith und ihrer Ukulele war, einer Wakana, die uns Tako-Yaki (mit Tintenfisch und Frühlingszwiebeln gefüllte Teigbällchen, erinnerten mich lustigerweise an die schleswig-holsteinische Förtchen meiner Tante) zubereitete und einem weiteren jungen Mann, der einen langen unaussprechlichen Namen hatte, aber uns irgendwann erlaubte, ihn einfach Yoshi zu nennen. Weil es in dem River and Castle side space keine Dusche gibt, sind Lilith und ich noch um Mitternacht aufgebrochen, um in der Nachbarschaft einen von Yuko beschriebenes Sentō, ein öffentliches Bad, ausfindig zu machen. Für ¥ 440 (= 3,20€) konnten wir dort nicht nur duschen, sondern auch in pipiwarmen Becken rumsitzen und ins Dampfbad gehen. Das Ganze fand nach Geschlechtern getrennt und splitterfasernackt statt, was ich erst etwas seltsam und dann aber ziemlich witzig fand. Bedenken hatte ich auch wegen meiner Tättowierungen, die man in Japan der Yakuza zuschreibt, der japanischen Mafia. An meinen niedlichen Quallen und Libellen störte sich dann aber glücklicherweise niemand. Auf dem Rückweg vom öffentlichen Bad gingen wir noch in ein benachbartes japanisches Bistro, in dem wir uns mangels Lonely Planet und sonstige Sprachführer gezwungenermaßen verhielten wie die lausigsten Touristen. Ich zeigte auf die Karte und bestellte völlig random 5 kleine Fisch-Gerichte (jeweils ¥ 190 = 1,35€), was unseren Nachbartisch ziemlich belustigte. Wir kamen irgendwie ins Gespräch, was insofern ziemlich außergewöhnlich war, weil von den drei Jungs Tomo, Toshi und Joshi nur Toshi wirklich englisch sprechen konnte, weil er mal drei Monate in den USA gelebt hat. Trotzdem brach unser Gespräch erst zwei Stunden und einige Bier später ab, als Lilith und ich vor Müdigkeit wirklich kaum noch aufrecht stehen konnten. Tomo hatte unsere komplette Rechnung beglichen, verwies auf die japanische Gastfreundschaft und wir versprachen unter zigfachem arigatō gozaimasu! (= Vielen Dank!) sie morgen im Miki zu besuchen. Immer wieder musste ich angesichts solch eines warmen Empfangs daran denken, wie ätzend Touristen in Berlin häufig behandelt werden und schämte mich stellvertretend. Was wir gelernt haben: ēgo ga hanase masu ka (= Sprechen Sie Englisch?), wie man Tako-Yaki zubereitet Was wir hätten brauchen können: eine idiotensichere Ausschilderung des öffentlichen Bades Wen ich grüße: Meine Mama, weil ich ihr versprochen habe mich per Blogeintrag bei ihr zu melden, wenn ich gut angekommen bin. Das ist hiermit geschehen. Song des Tages: Spending all my time von Perfume |
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Mai 2018
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